Städte klimafit machen

Umweltkrise fordert Umdenken

8. Mai 2024 von Nora Gau
Die Sommer werden heißer, extreme Wetterereignisse häufiger. Städte wie Wien stehen vor der Herausforderung sich klimafit zu machen, um in Zukunft noch lebenswert zu bleiben. Welche Lösungsansätze die Wissenschaft liefert, darüber sprechen wir mit Kerstin Krellenberg, Professorin für Urban Studies an der Uni Wien.
Große Städte erwärmen sich stärker als ihr Umland, denn in der Stadt haben wir höhere Versiegelungsraten und sehr viel Wärme speicherndes Material wie Asphalt, Beton, Metall und Glas, erklärt Kerstin Krellenberg die Herausforderungen von Städten in punkto Klimakrise. © Unsplash

Rudolphina: In Wien ist die Durchschnittstemperatur in den letzten 60 Jahren konstant angestiegen: Gab es in den 1970er Jahren noch durchschnittlich sieben Hitzetage im Jahr, so sind es derzeit 27. Vor welchen Herausforderungen stehen unsere Städte in Österreich?

Kerstin Krellenberg: Urbane Gebiete erwärmen sich stärker als ihr Umland, denn in der Stadt haben wir höhere Versiegelungsraten und sehr viel Wärme speicherndes Material wie Asphalt, Beton, Metall und Glas. Gebäude und Straßen nehmen Sonnenstrahlung auf, speichern die Energie und geben die Wärme wieder an die Umgebung ab, daher gibt es die urbanen Hitzeinseln. Der Effekt potenziert sich, wenn es keinen Wind, d.h. einen geringen Luftaustausch gibt. Das führt dann nicht nur zur Akkumulation von Wärme, sondern auch von Schadstoffen, die ein Gesundheitsrisiko darstellen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sind Maßnahmen sowohl im Bereich des Klimaschutzes als auch im Bereich der Klimaanpassung erforderlich.

Rudolphina: Sie arbeiten in Ihrem Forschungsbereich auch an möglichen Lösungsansätzen für Städte. Welche Maßnahmen sind denn nötig, um die Probleme, die der Klimawandel mit sich bringt, im urbanen Raum zu bewältigen?

Kerstin Krellenberg: Bei der Bewältigung der Klimakrise ist es entscheidend, Klimaschutz und Klimaanpassung gemeinsam zu betrachten. Klimaschutzmaßnahmen zielen darauf ab, die Ursachen des Klimawandels zu bekämpfen, indem sie den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren oder verhindern. Dazu gehören Maßnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien, energieeffiziente Gebäude und klimafreundliche Mobilität.

Klimaanpassung in einer Stadt bedeutet: Wie können wir uns an die spürbaren Auswirkungen anpassen? Da kann man an verschiedenen Stellschrauben drehen, z.B. alternative Baumaterialien verwenden, Fassaden und Dächer begrünen, um Wärmespeicherung zu vermeiden, kühlen ohne Klimaanlagen zu verwenden, die die Problematik ja sonst wieder verschärfen würden. Auch der öffentliche Raum bietet viele Gestaltungsmöglichkeiten zur Klimaanpassung einer Stadt.

Letztendlich geht es darum, die Städte so zu gestalten, dass sie für alle Bewohner*innen lebenswert bleiben.
Kerstin Krellenberg

Rudolphina: Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach denn die wichtigsten?

Kerstin Krellenberg: Das kann man so gar nicht sagen. Die Umweltkrise fordert ein generelles Umdenken und eine ganzheitliche Herangehensweise. Wir müssen zwar über kleinere, wichtige Schritte diskutieren, wie die Begrünung von öffentlichen Plätzen, aber die großen Herausforderungen liegen in der Überwindung von strukturellen Problemen wie die starke Fokussierung auf den Autoverkehr und die begrenzte Flächenverfügbarkeit in städtischen Gebieten. Da müssen viele Dinge zusammengedacht werden, denn letztendlich geht es darum, die Städte so zu gestalten, dass sie für alle Bewohner*innen lebenswert bleiben.

Rudolphina: Sie beschäftigen sich noch mit einem weiteren, interessanten Aspekt, nämlich dem der Klimagerechtigkeit. Was bedeutet das?

Kerstin Krellenberg: Mich als Wissenschafterin interessiert, warum Menschen in bestimmten Gebieten innerhalb der Stadt besonders von Hitze betroffen sind. Weil sie vielleicht in einem dichtbebauten Gebiet leben, weil sie in schlecht gedämmten Gebäuden oder in einem Stadtteil wohnen, in dem sie keinen Zugang zu Grünflächen haben. Es geht mir auch darum, dazu beizutragen, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Anpassung an seine Folgen fair und inklusiv sind.

Rudolphina: Welche Städte sind denn international vorbildlich in Bezug auf die Klimaanpassung?

Kerstin Krellenberg: Es gibt keine universelle Lösung oder Blaupause für städtische Probleme. Städte unterscheiden sich stark: durch ihre geographische Lage, ihre Topografie oder den Grad der Verdichtung. Das erfordert individuelle Anpassungen, auch innerhalb einer Stadt. Kopenhagen ist beispielsweise eine Stadt, die sich frühzeitig für Klimaneutralität entschieden und Maßnahmen ergriffen hat, auch wenn das bis zum Jahr 2025 gesteckte Ziel wohl nicht erreicht wird. Bedingt durch die Lage am Meer wird viel Energie aus Wind gewonnen. Aber auch der Radverkehr wurde stark ausgebaut. Dieses Beispiel zeigt auch, dass Anreize und lokale Traditionen eine wichtige Rolle spielen. In Kopenhagen hat das Radfahren Tradition, d.h. die Förderung des Radverkehrs lag dort nahe und das Umdenken fiel den Bewohner*innen nicht so schwer. Das wäre in einer Stadt, die stark vom Autoverkehr bestimmt wird, natürlich anders. Da müsste man andere Wege finden.

Rudolphina: Mit Blick auf Wien: Wie bekommt man ein Weltkulturerbe eigentlich klimafit?

Kerstin Krellenberg: Das ist nicht so leicht. Die Anpassung von Plätzen mit geschichtsträchtiger Architektur an den Klimawandel erfordert natürlich Verhandlungen und das Abwägen verschiedener Interessen. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, wie man historische Stätten wie z.B. den Michaelerplatz in Wien klimafit machen kann. Einige argumentieren, dass die Erhaltung des kulturellen Erbes Vorrang hat, während andere hinterfragen, ob Denkmalschutz vor den aktuellen Herausforderungen nicht als integraler Bestandteil einer klimafitten Stadt mitgedacht werden muss.

Es geht nicht nur um "Denkmalschutz" oder "Grün", sondern auch darum, welche Bedürfnisse die Menschen haben, die drumherum wohnen, dort vorbeigehen oder sich aufhalten wollen. Dafür muss man sich viele Faktoren vor Ort anschauen, die verschiedenen Interessensgruppen mit einbeziehen, um nachhaltige Lösungen zu finden.

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Eine wesentliche Forderung des Klimavolksbegehrens von 2020 war die Einrichtung eines Klimarechnungshofs – die Umsetzung scheint in weiter Ferne. Nicht so an der Universität Wien: Das transdisziplinäre FWF-Projekt "Realfiktion Klimarechnungshof" ruft die Institution ins Leben und spielt die Idee anhand realer Szenarien durch.

Rudolphina: Sie sind auch in Kontakt mit unterschiedlichen Gruppen außerhalb der Wissenschaft. Gleichzeitig sind sie Mitglied im interdisziplinären Forschungsverbund Umwelt und Klima, warum finden Sie Inter- bzw. Transdisziplinarität so wichtig?

Kerstin Krellenberg: Wenn wir verschiedene Aspekte eines Problems verstehen wollen, dann kann das nicht nur eine wissenschaftliche Disziplin alleine leisten. Je interdisziplinärer wir arbeiten, desto mehr Wissen und integrative Lösungsansätze können wir generieren. Und da ist der Forschungsverbund Umwelt und Klima eine tolle Möglichkeit für uns Wissenschafter*innen, das freie gemeinsame Denken anzustoßen und uns zu fragen, was sind Herausforderungen, die wir besser gemeinsam mit Jurist*innen, Meteorolog*innen, Biolog*innen und Geograph*innen bearbeiten können?

Die Zusammenarbeit mit Akteur*innen aus Politik, Verwaltung, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft ermöglicht es uns gemeinsam zu "experimentieren". Die beteiligten Akteur*innen werden als Expert*innen einbezogen, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Das erhöht natürlich auch die Akzeptanz einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Und manchmal sind es auch die Menschen vor Ort, die die Fragen anders oder besser stellen als wir Wissenschafter*innen. Letztendlich geht es darum, voneinander zu lernen und gemeinsam innovative Lösungen für unsere Städte zu finden.

Es gibt keine universelle Lösung oder Blaupause für städtische Probleme. Städte unterscheiden sich stark: durch ihre geographische Lage, ihre Topografie oder den Grad der Verdichtung.
Kerstin Krellenberg

Rudolphina: Eine Frage zu Ihrem persönlichen Werdegang: Warum haben Sie sich für Urban Studies entschieden und was gefällt ihnen besonders an ihrem Forschungsfeld?

Kerstin Krellenberg: Ich möchte durch meine Forschung zu Veränderungen beitragen. Mein Interesse für Stadtforschung wurde durch meine Arbeit in Lateinamerika geweckt, wo ich mit den Herausforderungen großer Städte mit enormen sozial-räumlichen Ungleichheiten konfrontiert wurde. Diese Region bietet so vieles, wovon wir lernen können. Stadtforschung ist komplex, aber unglaublich spannend, weil so viele Aspekte betrachtet und so viele Akteur*innen und Interessen berücksichtig werden wollen.

Was mir besondere Freude macht, ist die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Stadtakteur*innen. Ich denke und arbeite gerne inter- und transdisziplinär und finde es schön, wenn ich sehe, dass ich durch meine Arbeit auch kleine Veränderungen anstoßen kann, die zu nachhaltigen Transformationen beitragen. Ich freue mich, wenn Maßnahmen umgesetzt werden oder wenn meine Forschung sogar Einfluss auf politische Debatten hat. Diese Erfolge motivieren mich, mich weiterhin in diesem Bereich zu engagieren und meine Forschung voranzutreiben. In diesem Sinne werde ich mit meiner Arbeitsgruppe insbesondere auch unser Urban Sustainability Living Lab (USLL) weiter ausbauen.

Rudolphina: Danke für das Gespräch.

© Daniel Dutkowski
© Daniel Dutkowski
Kerstin Krellenberg ist Professorin für Urban Studies am Institut für Geographie und Mitglied im interdisziplinären Forschungsverbund Umwelt und Klima (ECH) der Universität Wien.

In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen und Herausforderungen des globalen Umweltwandels für städtische Räume sowie den erforderlichen Lösungsansätzen in Kontext von Anpassung, Resilienz und Transformationen.