Smarte Materialien

Mit Chemie gegen Ticket-Betrug

19. Oktober 2023 von Theresa Dirtl
Eine neue, smarte Tinte sagt Ticketfälscher*innen den Kampf an. Das innovative Material, das auf Basis des Botenstoffs Dopamin entwickelt wurde, kann aber noch viel mehr, sagt Laura Maggini von der Uni Wien: Zum Beispiel als Bestandteil eines intelligenten Etiketts die korrekte Lagerung sensibler Produkte, wie etwa Blutkonserven, überwachen.
Forscher*innen rund um Laura Maggini und Davide Bonifazi von der Uni Wien haben den Prototypen eines Hochsicherheits-Tickets entwickelt, das auf elektrochromen Materialien basiert, die bei Spannung unumkehrbar die Farbe wechseln. Wie man sich das vorstellen kann, zeigt das Video. © Bonifazi Group

Fußballspiele, Konzerte, Clubbings – der Handel mit gefälschten Eintrittskarten boomt und führt nicht nur zu Frust bei den betrogenen Fans, sondern teilweise auch zu hohen Verlusten für die Veranstalter. Ein neues smartes Material, das von Laura Maggini und ihrem Team an der Uni Wien entwickelt wurde, könnte nun allerdings dafür sorgen, dass Fake-Tickets bald der Vergangenheit angehören: "Wir haben auf Basis elektrochromer Moleküle eine intelligente Tinte entwickelt, mit der fälschungssichere Eintrittskarten gedruckt werden können", erklärt die Chemikerin.

Der Vorteil: Verschlüsselte Sicherheitsdaten werden bei dieser Methode als elektronische Bestandteile direkt in das Ticket eingebettet. Wird das Ticket nun beim Einlass aktiviert, wechselt die smarte Tinte ihre Farbe, was einer fälschungssicheren Authentifizierung gleichkommt. "Weil die Daten direkt auf das Ticket gespeichert sind, braucht es keinen Cloud-Speicher im Hintergrund, wie das beispielsweise bei QR-Codes der Fall ist. D.h. die Daten können auch nicht gehackt werden und verbrauchen v.a. auch keine Energie, was zum Beispiel bei Blockchain-Technologie ein großes Problem ist", erklärt Laura Maggini, die auch in Sachen Nachhaltigkeit einen Bedarf an Alternativen für hochsichere Tickets und Etiketten sieht.

Unser Ansatz ist ein nachhaltiger: Wir wollen simple, organische und ungiftige Materialien entwickeln.
Laura Maggini

Intelligentes Glückshormon

Als "elektrochrom" gelten sämtliche organischen und anorganischen Materialien, die durch einen elektrischen Impuls ihre Farbe ändern können. Die Chemikerin Laura Maggini hat sich auf organische elektrochrome Materialien spezialisiert, die auf Dopamin basieren, einem körpereigenen Botenstoff (Neurotransmitter), der Signale zwischen Nervenzellen übermittelt und  auch als "Glückshormon" bekannt ist. "Dass Dopamin nicht nur für emotionale und motorische Reaktionen sorgt, sondern auch zur Herstellung nachhaltiger Materialien der Zukunft genutzt werden kann, war eine bahnbrechende Erkenntnis für den gesamten Forschungsbereich", freut sich Maggini.

Elektrochrome Materialien, wie sie bereits jetzt für sogenannten Smart-Verglasungen eingesetzt werden (dimmbares Glas, das per Knopfdruck gesteuert wird), sind großteils reversibel: d.h. sie können ihre Farbe in verschiedene Richtungen wechseln. "Das ist für bestimmte Bereiche sehr nützlich, nicht aber wenn es um sicherheitsrelevante Andwendungen geht", erklärt die Chemikerin. "Unsere organischen, auf Dopamin basierenden elektrochromen Materialien ändern ihre Farbe nur ein einziges Mal und dieser Vorgang ist auch nicht mehr umkehrbar. Das macht sie zu einer Art chemischem Echtheitssiegel, und eine Fälschung so gut wie unmöglich."

Die Aktivierung des Materials

Der Farbwechsel wird durch einen elektrischen Impuls initiiert (daher rührt auch die Bezeichnung "elektrochrom"). Da die Chemiker*innen so nachhaltig wie möglich arbeiten möchten, vermeiden sie hierfür die Verwendung von Batterien: "Wir nutzen sogenannte RFID/NFC-Antennen – ein System, das sich die Energie von einem Lesegerät holt, ähnlich wie beim kontaktlosen Bezahlen mit der Bankomatkarte. Die Antenne überträgt dann die Energie an die elektrochrome Tinte. D.h. die Ticket-Aktivierung ist mit alltäglichen Geräten, wie Smartphones etc. möglich."

Sobald die Folie auf dem Ticket aktiviert wird, ändert es seine Farbe und macht die gespeicherten Informationen analog zugänglich – beispielsweise in Form eines schwarzen Symbols, das auf dem zuvor weißen Hintergrund erscheinen und dadurch das Ticket validiert. Die Information wird auch ohne weiteren Energieaufwand angezeigt.

Der Weg der smarten Tinte vom Labor auf den Markt

Im Rahmen einer AWS-Prototypenförderung haben Laura Maggini und Davide Bonifazi den Prototypen eines chemisch gesicherten Hochsicherheitstickets entwickelt, das ein elektrochromes Display enthält, das bei sicherer Aktivierung einen eindeutigen, irreversiblen und fälschungssicheren Farbwechsel bewirkt. Im Folgeprojekt "IrrevoChrom", einem von elf kürzlich genehmigten Spin-off Fellowships des FFG, arbeiten sie an der Weiterentwicklung und Skalierung der wasserbasierten, druckbaren elektrochromen Tinte, die sie kürzlich auch patentiert haben (WO 2023180536 A1).

"Diese Förderung ist eine einzigartige Möglichkeit für uns, da wir die Technologie so tatsächlich bis zur Marktreife entwickeln können“, sagt Maggini: "Wir sind gerade in einer Phase, in der wir kommerziell nutzbare Prototypen außerhalb des Labors in realitätsnahen Situationen testen. Der nächste Schritt ist dann die Markteinführung." 

"Als Initiator dieser Pionierarbeit freue ich mich sehr mitzuerleben, wie unsere Grundlagenforschung zu praktischen Lösungen heranreift", freut sich Davide Bonifazi. "Die nachhaltigen elektrochromen Materialien, die unser Team entwickelt hat, haben das Potenzial, in einer Vielzahl an Branchen Veränderungen herbei zu führen."

Überwachung von Blutkonserven

Parallel arbeiten  Maggini und Co. an einer weiteren potenziellen Anwendung der neuartigen elektrochromen Technologie in einem ganz anderen Bereich, nämlich dem Gesundheitssektor. Genauer gesagt geht es um die Qualitätssicherung bei der Lagerung von Blutkonserven. Blutspenden dürfen nur jeweils 35 Tage lang innerhalb eines bestimmten und sehr engen Temperaturbereichs aufbewahrt werden. Die Uni Wien-Forscher*innen haben nun visuelle, intelligente Etiketten entwickelt, die ein irreversibles elektrochromes Display - genannt i-ECD - aufweisen, mit dem der Zustand dieser so lebenswichtigen Ressource überwacht werden kann.

"Das Etikett ist mit einem Temperatursensor, einem RFID/NFC-System, einer Batterie und der i-ECD-Anzeige versehen. Der Sensor überwacht laufend die Temperatur: Wird einer der Parameter, innerhalb derer Blut gelagert werden darf, über- oder unterschritten, löst er einen Stimulus aus. Daraufhin ändert sich die Farbe des Etiketts bzw. erscheint innerhalb weniger Sekunden ein eindeutiger Hinweis, wie beispielsweise: 'Nicht verwendbar!'.

Bahnbrechende Forschung

Viele Forscher*innen haben sich schon an der Entwicklung irreversibler elektrochromer Materialien versucht, gelungen ist es erst den Chemiker*innen rund um Davide Bonifazi. Den Stein dafür hat er schon mit seiner Grundlagenforschung an der Cardiff University in Großbritannien ins Rollen gebracht, bevor er 2020 mit seiner Forschungsgruppe, darunter auch Laura Maggini, an die Uni Wien wechselte.

"Von all den unterschiedlichen Systemen, die wir erforscht haben, war Dopamin das aussichtsreichste. Es kann sich in ein Hybridpolymer verwandeln und wechselt dabei seine Farbe von schwarz auf weiß", erzählt Laura Maggini: "Die wirklich große Herausforderung bestand nun darin, das Molekül in ein System zu übertragen, in dem es seine Farbe genau dann ändert, wann wir es wollen – über einen elektrischen Stimulus in einer Displaykonfiguration."

Zunächst galt es, die richtigen Bedingungen zu finden, bei denen das Molekül in einer Lösung völlig stabil bleibt und sich erst dann verändert, sobald es einen Impuls erhält. Damit stand das Team aber auch schon vor der nächsten Herausforderung: "Um in Serie gehen und die Tinte auf Tickets und Etiketten drucken zu können, war eine flüssige Lösung nicht praktikabel – vielmehr brauchten wir eine eher pastenartige Konsistenz. Also back to the start", blickt die junge Chemikerin zurück. Das Durchhalten hat sich ausgezahlt: Kürzlich konnten die Forscher*innen ihre wasserbasierte, druckbare, elektrochrome Tinte patentieren; im Rahmen eines Spin-off Fellowships, das es Forscher*innen ermöglich, sich mit einer Idee selbständig zu machen, arbeitet Laura Maggini zurzeit an der Skalierung des innovativen Materials.

Nachhaltige Skalierung

Denn damit die schlaue Tinte auch für die Industrie interessant wird, muss sie schnell und in großen Mengen produzierbar sein. "Derzeit schaffen wir pro Stunde circa 200 Gramm der organischen elektrochromen Paste herzustellen – die Basis für die irreversiblen Sicherheitstickets und die Etiketten zur Überwachung der Blutkonserven; unser Ziel ist ein Kilogramm pro Stunde", verrät Maggini. Dazu wird demnächst ein größerer Reaktor angeschafft, "der steht ganz oben auf unserer Liste".

Noch weiter oben steht aber das Thema Nachhaltigkeit, "das berücksichtigen wir bei jedem Schritt", so die Forscherin. Die irreversible elektrochrome Tinte ist wasserbasiert und besteht hauptsächlich aus organischen Materialien. Völlig kompostierbar ist das System allerdings noch nicht, auf manche Komponenten wie den Chip konnten die Forscher*innen bei der Herstellung der smarten Etiketten nicht verzichten. Sie verfolgen aber einen "Plug and Play"-Ansatz: D.h. das irreversibel aktivierte Etikett kann entfernt und die elektronischen Komponenten wiederverwendet werden. Ein Schritt auf dem Weg zur langfristigen Vision der engagierten Forschungsgruppe: der Entwicklung rein organischer elektronischer Systeme aus nachhaltigen Materialien. "Wir arbeiten daran, dass elektronische Geräte organisch werden und am Ende ihres Lebenszyklus kompostierbar sind", blickt Laura Maggini in die Zukunft. (td)

Ein Produkt auf den Markt zu bringen, ist ein vollkommen neues Gefühl. Das ist meine Leidenschaft, die mich antreibt. Schlussendlich nutzen wir unsere Forschung, um tatsächlich etwas herzustellen.
Laura Maggini
© Laura Maggini
© Laura Maggini
Laura Maggini ist seit 2020 Senior Researcher in der Gruppe Bonifazi am Institut für Organische Chemie der Universität Wien. Hier leitet Maggini die Forschungsarbeiten zur Entwicklung neuer Produktionsplattformen und zur Skalierung von Produktionsprozessen für funktionale organische, elektrochrome Materialien, die im Labor hergestellt werden.

Laura Maggini schloss ihr Masterstudium in Organischer Chemie an der Universität "La Sapienza" in Rom (Italien) 2006 ab. Nach einer Station an der Universität von Namur (Belgien) forschte sie im Rahmen von zwei Marie Sklodowska Curie Individual Fellowships zunächst an der Universität Straßburg (Frankreich) und dann an der University of Cambridge (UK) bevor sie an die Universität Wien kam. Sie ist Mitglied des Forschungsverbunds Umwelt und Klima der Universität Wien.