Wie wichtig die Visualisierung von Daten für die Demokratie ist
Energiekosten, Corona-Fallzahlen, Klimawandel: Wir sind von Daten und Fakten umgeben und müssten ja eigentlich "nur nachschauen", um uns zu komplexen Sachverhalten schnell eine Meinung bilden zu können. Doch ganz so einfach ist es leider nicht: "Auch wenn uns heute viele Daten zur Verfügung stehen, heißt das noch lange nicht, dass sie auch breit verwendet oder verstanden werden", sagt Laura Koesten, Expertin für Dateninteraktion an der Uni Wien. Denn zum einen haben die meisten Menschen im Alltag wenig mit Daten oder Datensätzen zu tun, zum anderen sind sie oft kompliziert oder schwer verständlich aufbereitet.
Um diese Hürde zu erleichtern, werden komplizierte Informationen gerne in Visualisierungen wie Diagramme, Grafiken, Karten oder Tabellen verpackt. "Solche Visualisierungen sind oft der einzige oder einer der wenigen Interaktionspunkte zwischen Daten und der Bevölkerung", erklärt die junge Informatikerin der Research Group for Visualization and Data Analysis. "Allerdings haben diese Darstellungen den Nachteil, dass sie leicht falsch interpretiert werden können, oder, wenn sie zu stark vereinfacht sind, wichtige Zusammenhänge ausblenden."
Wie Pandemie und Klimawandel visuell erklärt werden
In ihrem aktuellen Projekt "Talking Charts" – auf Deutsch in etwa "sprechende Diagramme" – erforschen Koesten und ihr interdisziplinäres Team, dem unter anderem auch Professor Torsten Möller und die Wissenschafterin Kathleen Gregory angehören, mit welchen visuellen Mitteln in Print- und Onlinemedien über den Klimawandel und die COVID-19 Pandemie berichtet wird. Im Zentrum steht dabei die Frage, auf welche Weise Daten, Sachverhalte oder Informationen grafisch dargestellt werden und von wem – und was am Ende bei den Leser*innen bzw. Zuschauer*innen ankommt.
"Den Projektnamen haben wir gewählt, weil Diagramme mehr als nur 'einfache' Bilder sind – vielmehr vermitteln sie uns komplexe Informationen auf eine Art und Weise, die uns auch etwas über eine Sicht von der Welt erzählt. Zum Beispiel darüber, welche Themen gerade relevant sind, welche Absichten die Verfasser*innen der Diagramme haben oder welches Publikum erreicht werden soll", erklärt Laura Koesten.
Daten liefern Wissen, auf dessen Grundlage wir Handlungsentscheidungen treffen, betont Laura Koesten, und darum sei es auch wichtig, sie zu erforschen: "Wenn Daten gut und verständlich aufbereitet werden, können sie für Transparenz sorgen und dadurch auch den demokratischen Diskurs verbessern – beispielsweise politische Diskussionen rund um COVID-19 oder die Klimakrise. Jedoch bedeutet das auf der Kehrseite auch, dass es negative Folgen für den demokratischen Diskurs haben kann, wenn Diagramme falsch interpretiert werden. Als Beispiel nennt die Physikerin die Visualisierungen von Corona-Infektionszahlen: „Logarithmische Darstellungen sind besonders für exponentiell steigende Größen – wie Infektionszahlen - gut geeignet und wurden daher während der Berichterstattung der Pandemie oft verwendet. Das Konzept von Logarithmen ist für Laien aber – zumindest anfänglich - schwierig nachzuvollziehen und kann zu Fehlinterpretationen führen.“
Diagramme und Co: Fehlinterpretation leicht gemacht
"Um Datenvisualierungen möglichst gut zu verstehen, untersuchen wir sie aus möglichst vielen Betrachtungswinkeln, etwa jenem der Produzent*innen und jenem der Leser*innen", veranschaulicht die Informatikerin. Im Zentrum einer ersten Studie stehen dabei Diagramme und Grafiken zu den Themen Klimawandel und COVID-19, die in einem populärwissenschaftlichen Magazin veröffentlicht wurden. Im ersten Schritt versuchten die Datenexpert*innen der Forschungsgruppe Visualization and Data Analysis selbst, die Diagramme zu lesen – zunächst ohne, dann mit Begleittexten. "Es war erstaunlich, wie oft wir die Grafiken misinterpretiert haben, v.a. wenn wir keinen Begleittext zur Verfügung hatten – und das obwohl wir tagtäglich mit Datenvisualisierungen zu tun haben", erzählt Laura Koesten.
Im nächsten Schritt befragten die Forscher*innen die Mitarbeiter*innen des Magazins – von der Chefredakteurin bis hin zur Grafikerin: "Einerseits um den Produktionsprozess, also die Perspektive der Produzent*innen, zu verstehen – angefangen damit, wer entscheidet, worüber berichtet wird, wer die Artikel mit welcher Intention verfasst, wer die Artikel korrigiert, bis hin zur Frage, wer das Endprodukt absegnet", erklärt die Projektleiterin: "Andererseits war es uns wichtig zu erfahren, welche Informationen in den ausgewählten Artikeln vermittelt werden sollten. Denn nur dadurch konnten wir herausfinden, ob wir die Botschaften richtig interpretiert hatten und welche Art von Botschaften beim Zielpublikum richtig ankommen – und welche fehlinterpretiert werden", so die Forscherin.
Tagebuchschreiben für die Wissenschaft
Um die Perspektive der Leser*innen zu untersuchen, ist in weiterer Folge eine sogenannte "Tagebuchstudie" geplant: Dabei werden den Studienteilnehmer*innen Datenvisualisierungen zugesendet, zu denen sie Fragen beantworten müssen. "Einerseits werden wir Verständnisfragen stellen, um zu erfahren, ob die Diagramme „richtig“ verstanden werden. Wir werden aber auch erfragen, wie die Diagramme erlebt werden – sind sie ästhetisch und fangen das Interesse ein? Sind die vertrauenswürdig? Denn wenn ein Diagramm nicht nicht angesehen wird, kann es noch so verständlich sein – die Botschaft kommt nicht an. Letztes gilt auch dann, wenn ersichtlich ist, dass die Daten aus einer Quelle stammen, die von den Rezipienten*innen nicht als vertrauenswürdig eingestuft wird."
Wie muss ein gutes Diagramm ausschauen?
Auf Basis der Ergebnisse im Projekt "Talking Charts" entwickeln Koesten und ihr Team Empfehlungen, um die Kommunikation von Datenvisualisierungen zu verbessern. "Ein Beispiel: Grafiken zirkulieren oft ohne Kontext in den sozialen Medien. Das erleichtert die Verbreitung von Falschinformationen. Eine wichtige Richtlinie für Produzent*innen wäre es also, alle für die richtige Interpretation der Datenvisualisierung relevanten Informationen direkt mit in die Grafik einzubauen", erklärt die Forscherin. Bei der Ausarbeitung von Richtlinien und Best Practice-Modellen geht es aber auch um Fragen wie: Welche Themen eignen sich überhaupt für eine grafische Darstellung und welche nicht? Wie viel Text ist nötig, wie viel ist möglich? – und viele mehr.
Was Datenvisualisierung mit Demokratie zu tun hat
Es gibt Bestrebungen in Richtung "Open Data", also das Bemühen, Daten unterschiedlichster Art, etwa wissenschaftliche Daten – der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das ist vor allem wichtig, da Menschen vollständige Informationen brauchen, um sich ein umfassendes Bild der Welt zu machen: "Wenn nur einer kleinen Anzahl von Menschen Informationen vorliegen, dann können andere nicht nachvollziehen, warum gewisse Entscheidungen getroffen werden. Stellen wir uns zum Beispiel vor, die breite Bevölkerung hätte während der Coronapandemie keinen Zugang zu den Inzidenzen gehabt – da hätte keiner die Maßnahmen der Regierung nachvollziehen können – was jedoch ein wichtiges Instrument der Machtkontrolle ist", erklärt Laura Koesten.
Egal ob es um Energiekosten, Corona-Fallzahlen oder den Klimawandel geht: Die vielen komplexen Daten, mit denen wir täglich zu tun haben, müssen in einer Form aufbereitet werden, die Verständnis fördert und Zusammenhänge möglichst einfach sichtbar macht. "Demokratie funktioniert nur, wenn ich verstehe, was vor sich geht" sagt Laura Koesten. "Nur wenn ich die Informationen habe und diese Informationen auch verstehe, kann ich mitreden – und nur wenn ich mitreden kann, kann ich auch mitbestimmen."
Mapping Common Ground in the First Talking Charts Team Workshop
Talking Charts is a mixed methods WWTF-funded project exploring how charts related to climate change and COVID-19 are created and understood by researchers and public audiences. The core team of Talking Charts met with researchers working on related topics* for a half-day workshop to gain insights about each other’s current research activities and to discuss common interests. Read more on the univie Blog
Ihre Forschung befasst sich mit Möglichkeiten zur Verbesserung der Mensch-Daten-Interaktion, indem sie die Sinngebung mit Daten und Visualisierungen, die Datenentdeckung und -wiederverwendung sowie ethische und kollaborative Aspekte datenzentrierter Arbeit studiert. Sie ist Mitglied im Forschungsverbund Umwelt und Klima der Universität Wien.