Digitale Partizipation

Werden wir in der Zukunft vom Sofa aus wählen?

19. Oktober 2022 von Christina Alma Emilian
Die Mehrheit der Österreicher*innen befürwortet E-Voting – also die Möglichkeit, ihr Wahlkreuz auch elektronisch über das Internet zu setzen. Trotzdem wählen wir in Österreich noch mit Stift und Zettel. Ob und wann digitales Wählen in Österreich Realität wird, sei vor allem eine politische Frage – und bis dahin noch ein langer Weg, sagt Carolina Plescia, Expertin für Digitale Demokratie an der Uni Wien.
Mit E-Voting sind komplizierte Sicherheits- und Rechtsfragen verbunden. Laut Politikwissenschafterin Carolina Plescia von der Uni Wien sind diese aber lösbar: "Es ist vor allem die politische Dimension, die dem E-Voting langfristig im Weg stehen wird." © Diy13/iStock

Die Digitalisierung spielt in allen Bereichen unseres Lebens eine große Rolle, so auch in unserem demokratischen Miteinander: Wahlkämpfe finden inzwischen in erster Linie online statt, Politiker*innen gehen in den sozialen Medien auf Stimmenfang, und Wahlbotschaften erreichen per Algorithmus passgenau die richtige Zielgruppe.

Sogar das Vertrauen in E-Voting scheint in der österreichischen Bevölkerung zumindest teilweise angekommen zu sein: "Die Meinungen sind zwar immer noch gemischt, doch zumindest unterstützt die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung die Forderung, digitales Wählen wenigstens als Ergänzung der bestehenden Wahlteilnahmemöglichkeiten zuzulassen", erklärt Carolina Plescia, Assozierte Professorin für Digitale Demokratie an der Universität Wien und Leiterin eines groß angelegten EU-Projekts, in dem sie untersucht, was Wählen für Bürger*innen bedeutet.

Das Wählen selbst ist aber hierzulande nach wie vor nicht digital möglich – selbst in Zeiten von Online-Meetings und Handysignatur. Woran scheitert es also, dass wir nicht schon längst bequem vom Sofa aus unser Wahlkreuz setzen?

Eine Frage der Politik

Dafür gibt es vielerlei Gründe: "E-Voting beherbergt zum Beispiel gewisse Sicherheitsbedenken, etwa durch Hacking, Stimmenkauf oder Manipulation", erklärt die Politikwissenschafterin, die sich vor allem dafür interessiert, wie Bürger*innen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wahrnehmen und welche Einstellung sie zum Thema Stimmabgabe generell haben. "Aber auch das Wahlgeheimnis – ein Grundrecht – könnte möglicherweise durch das elektronische Wählen aufgeweicht werden." Letzteres ist ein Aspekt, der vor allem rechtliche Relevanz hat: Ohne zu klären wie die digitale Partizipation verfassungskonform durchgeführt werden kann, gibt es derzeit noch keine Basis, um digitales Wählen durchzusetzen.

Laut Plescia sind diese Sicherheits- und Rechtsfragen zwar kompliziert, aber lösbar: "Es ist vor allem die politische Dimension, die dem E-Voting langfristig im Weg stehen wird." Denn die Frage nach der Form der Wahl sei letzten Endes eine politische: "Die Wahrnehmung der Bürger*innen in Bezug auf die Sicherheit der elektronischen Stimmabgabe sowie die Hinweise, die sie von ihren 'eigenen' Parteien dazu erhalten, sind von entscheidender Bedeutung", so die Politikwissenschafterin. Dass die Einführung eines E-Voting-Systems in Österreich demnächst auf die politische Agenda kommt, glaubt Plescia also nicht.

 

Carolina Plescia im Video-Interview: The meanings of voting

Im Video erklärt die Politikwissenschafterin Carolina Plescia ihre Forschung und was sie dabei antreibt: Sie untersucht die politischen, symbolischen und psychologischen Bedeutungen der Stimmabgabe.

Wie wir wählen wollen, hängt vor allem von unseren Wahrnehmungen ab und davon, wen wir wählen

Die Expertin für Wahlverhalten Carolina Plescia interessiert sich in ihrer Forschung vor allem für die Bedeutung der Stimmabgabe für Bürger*innen und deren Einstellung gegenüber neuen Formen der digitalen Partizipation. Im Rahmen des Austrian Corona Panels (ACPP) haben sie und das ACPP Team inmitten der ersten Welle der Corona-Pandemie im April 2020 und ein Jahr später, im April 2021, rund 1.500 österreichische Bürger*innen – repräsentativ für die österreichische Gesamtbevölkerung in Bezug auf Alter, Geschlecht, Bundesland und Bildungsniveau – folgende Frage gestellt: "Sind Sie allgemein dafür oder dagegen, dass Wahlen mittels E-Voting, also durch eine elektronische Stimmabgabe über Internet durchgeführt werden?".

Es zeigte sich dabei, dass die Mehrheit, nämlich etwa 60 Prozent der Befragten, die digitale Stimmabgabe stark beziehungsweise eher befürwortet, während etwa 40 Prozent das E-Voting eher oder stark ablehnen.

Grafik: Einstellung der Bevölkerung zum E-Voting

Grafik zur Befuerwortung des Evoting
Die zwei Befragungen vom April 2020 und 2021 zeigen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung dem E-Voting positiv gegenüber steht wenn sie gefragt werden: "Sind Sie allgemein dafür oder dagegen, dass Wahlen mittels E-Voting – also durch eine elektronische Stimmabgabe übers Internet durchgeführt werden?" (Daten vom ACPP nicht gewichtet, N=ca. 1.500 Befragte pro Erhebung). © Universität Wien
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Demokratie funktioniert nur, wenn Bürger*innen informierte Entscheidungen treffen können. Doch was, wenn der Newsfeed so personalisiert ist, dass niemand mehr so genau weiß, was wir eigentlich vorgesetzt bekommen – und von wem? Sophie Lecheler und ihr Team an der Uni Wien nutzen Experimente und "Datenspenden", um zu sehen, was die User*innen sehen – und politische Diskurse in Zeiten der Digitalisierung zu verstehen.

Was das Betrugsrisiko bei Wahlen betrifft, so wird die Abstimmung mittels Internet als besonders anfällig wahgenommen: Mehr als 60 Prozent der Befragten schätzen es bei E-Voting als hoch ein. Interessant ist dabei, dass die Präferenz für E-Voting in Österreich nicht von einem spezifischen Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad abhängig ist, wie Carolina Plescia erklärt, "sondern vor allem von der jeweiligen politischen Ideologie – und in Zeiten von Corona auch zu einem gewissen Grad von der individuellen Angst vor Ansteckung".

So sind es vor allem die FPÖ-Wähler*innen, die sich gegen E-Voting aussprechen: 32 Prozent befürchten, dass elektronische Wahlen manipuliert werden könnten (im Vergleich dazu schätzen bei den Grünen 12 %, bei den NEOs 9 %, bei der SPÖ 19 % und bei der ÖVP 15 % das Betrugsrisiko bei E-Voting als "sehr hoch" ein).

Grafik: Umfrage zu Betrugsrisiko bei E-Voting

Die Befragung des ACPP im April 2021 zeigt, dass die Bürger*innen das Betrugsrisikos bei E-Voting am höchsten einschätzen wenn sie gefragt werden: "Wie hoch schätzen Sie das Betrugsrisiko bei jeder der folgenden Abstimmungsmöglichkeiten bei Wahlen ein?" (Daten vom ACPP nicht gewichtet, N=ca. 1.500 Befragte pro Erhebung).
Die Befragung des ACPP im April 2021 zeigt, dass die Bürger*innen das Betrugsrisikos bei E-Voting am höchsten einschätzen wenn sie gefragt werden: "Wie hoch schätzen Sie das Betrugsrisiko bei jeder der folgenden Abstimmungsmöglichkeiten bei Wahlen ein?" (Daten vom ACPP nicht gewichtet, N=ca. 1.500 Befragte pro Erhebung). © Universität Wien

Warum wählen wir eigentlich überhaupt?

Die Einstellung zur Online-Wahl ist aber nur ein Aspekt der Forschung von Carolina Plescia: Sie will herausfinden, was Wählen für Bürger*innen überhaupt bedeutet – sehen sie Wählen z.B. als ihre staatsbürgerliche Pflicht? Oder gibt es politische Alternativen zur Stimmabgabe? "Das sind Fragen, die aufgrund des wachsenden Misstrauens gegenüber der Teilnahme an Wahlen und gegenüber den demokratischen Institutionen in vielen Ländern der Welt immer wichtiger werden", so Plescia. Das Projekt "DeVOTE – the meanings of voting for citizens" konzentriert sich dabei nicht nur auf die bereits gut erforschten Länder Westeuropas, sondern auch auf die sogenannten Autokratien in Europa und darüber hinaus. Dies ermöglicht neue Einblicke in das Wahlverfahren außerhalb demokratischer Systeme.

Was halten Sie vom Wählen? Jetzt am Projekt beteiligen!

Carolina Plescia und ihr Team laden Sie ein, Ihre eigenen Bedeutungen der Stimmabgabe zu teilen und den Forscher*innen der Uni Wien dabei zu helfen, die Vielfalt, den Wandel und die Verwendung der verschiedenen Bedeutungen in Ihrem Land und darüber hinaus zu erforschen. 

Die Teilnahme ist über ein Online-Formular auf der Projektwebsite möglich. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten und Rollen, in denen Sie am Projekt DeVOTE teilzunehmen können – alle Infos zur Teilnahme gibt es hier – sowie (in englischer Sprache) auf der Projektwebsite.

Wir wollen den Bürger*innen eine Plattform geben, auf der sie ihre Wahlentscheidungen erklären können.
Carolina Plescia

Phänomene wie sinkende Wahlbeteiligung oder politische Apathie verstehen

"In Zeiten weit verbreiteter politischer Apathie liefert unser Projekt wichtige Erkenntnisse über den Stellenwert von Wahlen und des Wählens in der Gesellschaft. Auf Basis dieses Wissens können wir gegenwärtige politische Phänomene, wie etwa sinkende Wahlbeteiligungen oder die Demokratieunzufriedenheit, besser verstehen", erklärt die engagierte Forscherin, die es sich darüber hinaus zum Ziel gesetzt hat, "den Bürger*innen eine Stimme zu verleihen und ihnen eine Plattform zu bieten, auf der sie ihre Wahlentscheidungen erklären können."

Die ersten Projektergebnisse zeigen bereits, wie vielfältig die Wahrnehmungen der Stimmabgabe in einer Bevölkerung sind, lassen aber andererseits auch längerübergreifende Muster erkennen: "Besonders interessant ist, dass Bürger*innen in Kenia, Serbien oder Kolumbien – Länder, die grundlegend unterschiedliche politische Kontexte aufweisen – doch zum Teil sehr ähnliche Auffassungen zum Thema Wählen haben", so die Wahlexpertin.

Was heißt das nun für die Zukunft des Wählens? "Die derzeitige Forschung weist darauf hin, dass nicht nur die Zustimmung zu E-Voting wächst, sondern auch in Bezug auf andere Formen der digitalen Partizipation – wie zum Beispiel zu informellen Beteiligungsprozessen", prognostiziert Carolina Plescia. Die Digitalisierung wird unsere Demokratie also verändern, die Frage ist nur wie – und wann.

© Parente Antonietta
© Parente Antonietta
Carolina Plescia ist Assoziierte Professorin für Digitale Demokratie am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. Sie leitet das ERC Starting Grant-Projekt DeVOTE, in dem sie untersucht, was Wählen für Bürger*innen bedeutet. Zusammen mit Prof. Sylvia Kritzinger ist sie auch am H2020-Projekt RECONNECT beteiligt, das die Wahrnehmung der Bürger*innen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der EU sowie mögliche Reformszenarien erforscht.

Für ihre Doktorarbeit, die sie am Trinity College Dublin abschließ, wurde sie mit dem ECPR Jean Blondel PhD Preis für die beste politikwissenschaftliche Doktorarbeit 2014 ausgezeichnet. 2021 wurde sie zum Mitglied der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gewählt. Ihre vielfältigen Forschungsinteressen reichen von der Erforschung der öffentlichen Meinung, Wahlverhalten und experimenteller Sozialforschung bis hin zur Rolle von der Digitalisierung in demokratischen Prozessen.