Wissenschaftscomic

Wir fangen Wissenschaft

5. Juli 2023 von Daniel Schenz
Ein neuer Physik-Webcomic erklärt nicht nur, was "Magnons" sind, sondern auch, wie sie an der Uni Wien erforscht werden. Was dahinter steckt, erzählt Projektkoordinator Pedro del Real Lavergne im Gespräch mit Rudolphina.
Der Webcomic "Wir fangen Magnons" begleitet reale Physiker*innen der Uni Wien bei ihrer Arbeit. Er soll das Berufsbild "Wissenschafter*in" greifbar machen und junge Menschen für Wissenschaft begeistern. © AG NanoMag (CC), Illustration: Ulrich Fey

Wissenschaft ist der Versuch, das Funktionieren der Natur in für den Menschen verständliche Begriffe zu fassen. Daher ist Kommunikation ein essentielles Element von Wissenschaft, und ein Großteil ihrer Institutionen und Formate dreht sich um den Austausch von Ideen: Konferenzen, Fachzeitschriften, Vorträge – immer geht es darum, anderen neue Ideen verständlich zu machen. "Wissenschaft ist Kommunikation", wie es Pedro del Real Lavergne von der Forschungsgruppe "Nanomagnetismus und Magnonik" an der Fakultät für Physik der Uni Wien ausdrückt.

Gemeinsam mit Gruppenleiter Andrii Chumak koordininerte del Real Lavergne das kürzlich abgeschlossene Wissenschaftskommunikationsprojekt "Wir fangen Magnons", in dem die Physiker*innen der Gruppe mit Illustrator*innen und Programmierer*innen einen interaktiven Webcomic enwickelt haben.

Worum geht es: Auf den ersten Blick darum, dass Magnonen Abweichungen in Magnetfeldern sind, die sich als Wellen durch ein Medium bewegen. Sie werden als heißer Kandidat für die energieeffiziente Kommunikation der Zukunft gehandelt, z.B. als stromsparende Datenträger. Aber schon bald merken wir, dass das nur die Kulisse ist und wir eigentlich etwas anderes erfahren: "Im Comic stehen weniger die Inhalte als vielmehr die wissenschaftlichen Prozesse dahinter im Vordergrund. Vor allem möchten wir zeigen, wie Wissenschaft als Beruf funktioniert", erklärt del Real Lavergne.

Der Webcomic "Wir fangen Magnons" ...

... ist online unter magnon-comic.at frei zugänglich, für die Nutzung per Mobiltelefon optimiert und durchgängig zweisprachig (Deutsch und Englisch). Der*die Leser*in folgt den realen Wissenschafter*innen Andrii Chumak (Gruppenleiter), Qi Wang (Postdoc) und Noura Zenbaa (PhD-Studentin) bei ihrem Werdegang und durch ihren Arbeitsalltag und kann bei dem einen oder anderen Experiment auch selbst Hand anlegen.

Das Wissenschaftskommunikationsprojekt ist in das größere FWF-Forschungsprojekt "MagFunc" eingebettet. Dort geht es um die Entwicklung von magnonischen Sendern und Sensoren als Komponenten in Kommunikationsanwendungen und Quantencomputern.

Insesondere soll der Comic junge Menschen, wie Schüler*innen oder Studieninteressierte, für Wissenschaft begeistern. Dass sich Schüler*innen in sprachlichen, künstlerischen und anderen Zweigen bereits in der Oberstufe spezialisieren, berge dem engagierten Wissenschaftskommunikator zufolge die Gefahr, dass sie sich früh von wissenschaftlichen Themen abgrenzen: "Doch Wissenschaft ist in allen Feldern relevant."

Wissenschaft – ein "ganz normaler" Beruf?

Tatsächlich haben viele Menschen keine Vorstellung davon, wie der Berufsalltag eine*r Forscher*in ausschaut, da die wissenschaftliche Arbeit oft hinter verschlossenen Türen stattfindet. "Wissenschaft ist aber ein ganz normaler Beruf, und das muss auch der Öffentlichkeit, also der Gesellschaft und der Politik, vermittelt werden", so Pedro del Real Lavergne.

Vor allem gehe es darum zu erklären, dass wissenschaftliche Arbeit Zeit braucht, zwar viele Möglichkeiten mit sich bringt, aber auch viele Unklarheiten, und dass sie vielfältige Kollaborationen erfordert. Ebensowichtig sei es, den Menschen die Institutionen und Formate der Wissenschaft näher vorzustellen: Was ist ein Paper, was eine Konferenz?

Denn wie komplex die wissenschaftliche Arbeit tatsächlich ist, bleibe in der öffentlichen Wahrnehmung oft unsichtbar, und der Fokus liege zu sehr auf den fertigen Ergebnissen, sind sich Gruppenleiter Andrii Chumak und Verwaltungsassistent Pedro del Real Lavergne einig.

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Zukunftstechnologie
Können Computer der Zukunft mit weniger Energie auskommen, dabei aber noch leistungsfähiger und kleiner werden? Ja, ist sich Andrii Chumak sicher. In seinem ERC-Projekt "MagnonCircuits" testet er die Möglichkeiten von Magnonik-Technologie, die eines Tages Halbleiterbauelemente ablösen könnte.

Und so erklärt sich auch der Titel des Comics: An erster Stelle steht das "Wir", die Gruppe an Beteiligten. Dann kommt "fangen", was einen (beschwerlichen) Prozess andeuten soll. Und erst dann das Forschungsthema, in diesem Fall "Magnonen". "Wir hoffen natürlich, dass dieses unbekannte Wort auch Neugierde auslöst", schmunzelt der Projektkoordinator, "denn die ist besonders wichtig in der Wissenschaft."

Wissenschaft gehört uns allen. Deshalb müssen wir sie so kommunizieren, dass alle sie hören und verstehen können.
Pedro del Real Lavergne

Wie Wissenschaftskommunikation funktioniert

Die Zusammenarbeit mit professionellen Kreativen bei der Produktion des Webcomics hat Pedro del Real Lavergne einmal mehr vor Augen geführt, wie wichtig Ideenaustausch und Perspektivenwechsel sind: "Ich habe dabei viel darüber gelernt, wie Wissenschaftskommunikation auch bei Leuten funktioniert, die sonst keinen Kontakt zur Wissenschaft haben." Wie viele andere Berufsgruppen haben auch Wissenschafter*innen ihre ganz eigene Fachsprache. Es sei also wichtig, Begriffe zu übersetzen und Ankerpunkte mit Bekanntem zu finden: "Der Austausch zwischen Wissenschafter*innen und Kommunikations-Expert*innen bringt nicht nur viel Qualität, sondern auch viele Möglichkeiten."

Innovation folgt keiner Vorlage

Und nicht zuletzt, besonders wenn man wie del Real Lavergne etwas Neues ausprobiert, dürfe man nicht davor zurückschrecken, dass Innovation kompliziert ist. Er sagt: "Wer innovieren will, kann keiner Vorlage folgen. Es gibt Unsicherheiten und Missverständnisse, aber auch neue Wege, die sich durch Dialog ergeben. Fehler gehören dazu, aber daraus lernt man. Und das Produkt ist nie fertig. Das nächste Produkt baut auf das vorige auf."

Es ist nicht klar, ob sich del Real Lavergne dessen bewusst ist, wieviel seiner eigenen Arbeit sich mit dem deckt, was er über die Arbeit von Wissenschafter*innen erklären will. Denn auch in der Wissenschaft ist es ja so, dass die Arbeit nie ganz fertig ist, ständig Überarbeitungen nötig sind und man das Beste erst durch Zusammenarbeit herausfindet.

Denn am Ende ist die Wissenschaft ein sehr menschliches Unterfangen. Erst seit wir das Funktionieren der Natur in für Menschen verständliche Begriffe fassen, können wir darauf aufbauen, um unser Leben auf vielfältige Weisen zu verbessern. Daher ist sich del Real Lavergne sicher: "Wissenschaft gehört uns allen. Deshalb müssen wir sie so kommunizieren, dass alle sie hören und verstehen können. Auf diese Weise 'normalisieren' wir sie und holen sie aus dem Elfenbeinturm."

Der Webcomic “Wir fangen Magnons” ist der perfekte Schritt dazu. Also auf: Fangen wir Wissenschaft! (ds)

© NanoMag
© NanoMag
Pedro del Real Lavergne ist begeisterter Leser des "Journal of Science Communication", folgt aber auch Blogs, YouTube-Kanälen und Podcasts um mehr über den Prozess der Wissenschaft zu erfahren. Darüber hinaus nimmt er an internationalen Konferenzen für Wissenschaftskommunikator*innen teil um sich dort mit Fachkolleg*innen auch über seine eigenen Ideen auszutauschen. Außerdem hat er ein Faible für Science Fiction und Comics.

Er studierte Politikwissenschaften in Barcelona und begann einen PhD in Kommunikationswissenschaften am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Nach der Geburt seines Kindes wechselte er in die Wissenschaftsadministration. Als Andrii Chumak an die Universität Wien berufen wurde, wurde del Real Lavergne Verwaltungsassistent in seiner Gruppe.