Presenting… Historikerin Stephanie Rieder-Zagkla

Ehescheidungen und Sexualität

Scheidung ist kein "modernes" Phänomen, sondern hat in Form von "Scheidungen von Tisch und Bett" eine lange Tradition. Wie, von wem und in welchem Kontext dabei vor Gericht über Sexualität gesprochen wurde, untersucht Stephanie Rieder-Zagkla von der Vienna Doctoral School of Historical and Cultural Studies.
Ehekonflikte werden schon seit Jahrhunderten vor Gericht ausgetragen. Welche Rolle Sexualität dabei spielt, erklärt Doktorandin Stephanie Rieder-Zagkla im Video.

"Ehescheidungen, Konflikte um die eheliche Sexualität und leider auch sexuelle Gewalt in der Ehe sind nach wie vor hochaktuelle Themen", weist die junge Historikerin und Rechtswissenschafterin Stephanie Rieder-Zagkla auf die Relevanz ihrer Forschung hin. Weitgehend unbekannt sei dabei, dass sexuelle Gewalt in der Ehe in Österreich erst seit 1989 als Vergewaltigung strafbar ist, so Rieder-Zagkla.

Doktoratsschulen der Universität Wien

Seit 2020 bieten die Doktoratsschulen an der Universität Wien den Doktorand*innen neben speziellen Lehrveranstaltungen und der Vermittlung neuester Methoden und Techniken auch die Möglichkeit, die eigene Forschung in Seminaren intensiv zu diskutieren, sowie eine offene Interaktion mit mehreren Betreuenden und anderen Doktorand*innen. Workshops, Seminare, Forschungsexkursionen, Retreats und Sommerschulen tragen zu einer lebendigen, internationalen Peer-Kultur bei. Die Absolvent*innen der Doktoratsschulen werden durch die Einbettung in die internationale Wissenschaftschaftsgemeinschaft und die Erfahrung, selbständig zu arbeiten, bestens für ihre weitere berufliche Laufbahn vorbereitet, innerhalb oder außerhalb von Universitäten.

Impotenz, Ehebruch oder Geschlechtskrankheiten als Scheidungsgrund 

Die Doktorandin und Gewinnerin des Impact Award 2022 befasst sich mit der Verhandlung und Diskussion von ehelicher (und außerehelicher) Sexualität vor Gericht im Gebiet des heutigen Wien und Niederösterreich zwischen 1783 und 1938. Dabei konzentriert sich Rieder-Zagkla von der Vienna Doctoral School of Historical and Cultural Studies insbesondere auf Ehescheidungsverfahren: "Hier reichen die Themengebiete, mit denen ich mich auseinandersetze, unter anderem von der ehelichen Pflicht zum Geschlechtsverkehr über Impotenz, Empfängnisverhütung oder Geschlechtskrankheiten bis hin zu Ehebruch oder auch sexuelle Gewalt in der Ehe."

Ehescheidungen, Konflikte um die eheliche Sexualität und leider auch sexuelle Gewalt in der Ehe sind nach wie vor hochaktuelle Themen.
Stephanie Rieder-Zagkla

Wie sprachen Menschen über Sexualität? 

Dabei arbeitet Rieder-Zagkla einerseits mit historischen Quellen, genauer gesagt mit Ehescheidungs-, Eheannullierungs- und Ehetrennungsakten, und zieht anderseits als Rechtswissenschafterin auch Gesetzestexte und juristische Kommentare heran. "Indem ich mich auf diese Quellen konzentriere, trägt meine Forschung auch zu einem besseren Verständnis von Sexualität bei. Und wie sich dieses im Laufe der Jahrhunderte gewandelt hat", so Rieder-Zagkla. 

Denn was vor Gericht stattfindet, sei nicht nur ein Sprechen über Sexualität, "sondern vor allem auch ein Verfügen, ein Definieren, ein Bestimmen, ein Aushandeln dessen, wie eine Ehe, wie ein Frauen- und Männerkörper oder Sexualität zu sein bzw. zu funktionieren hat", erklärt Rieder-Zagkla einen weiteren spannenden Aspekt ihrer Forschung: Die in den Akten festgehaltenen Vorstellungen von Normalität und Devianz in Bezug auf Geschlecht und Sexualität.
 

Wie wurde vor Gericht über Sex in der Ehe gesprochen? Das Erklärvideo bringt die Forschung von Stephanie Rieder-Zagkla auf den Punkt.

Von männlich dominierten Räumen und Geschlechter-(Un-)Gerechtigkeiten


Mit ihrer Forschung wirft sie auch ein neues Licht auf Handlungsspielräume von Frauen innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals. "Das Sprechen vor Gericht war zwar männlich dominiert, nämlich durch Richter, Anwälte oder auch Ehemänner, aber es verhandelten und problematisierten auch Frauen in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Aspekte der ehelichen und außerehelichen Sexualität", erklärt die Doktorandin, die mit ihrer Forschung nicht zuletzt zur gesellschaftskritischen Reflexion des Umgangs mit Sexualität und Geschlechter-(Un-)Gerechtigkeit beiträgt. (red)

© Benjamin Furtlehner
© Benjamin Furtlehner
Stephanie Rieder-Zagkla ist Doktorandin an der Vienna Doctoral School of Historical and Cultural Studies und Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (DOC-team). Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Sexualitäten, Frauen- und Geschlechtergeschichte und Rechtsgeschichte.