Archaeen als Klimaretter?
Unsere Erde ist in ständiger Bewegung: Die tektonischen Kräfte können ganze Meere verschlucken und an anderer Stelle als Gebirge ausspeien. So wird es in ferner Zukunft unserem Mittelmeer gehen und so erhoben sich die rund 400 Millionen Jahre alten Gesteine der steirischen Kraubath-Lagerstätte ans Tageslicht.
In ihrem Büro am UZA II der Universität Wien dreht die Geologin Jennifer Zwicker einen mit Magnesit-Adern überzogenen Stein aus dem Kraubath in ihren Händen – sie hat den Stein selbst mit dem Hammer abgeschlagen und in seine Einzelteile zersägt. Wie genau der Magnesit, der in der Regel hydrothermal entsteht, in die Ostalpen kommt und ob uns die zugrundeliegenden Mechanismen im Kampf gegen die Klimakrise helfen könnten, beschäftigt die junge Wissenschafterin in ihrem aktuellen Forschungsprojekt.
Women in Science Day 2023
Wissenschaft ist spannend, wirksam, vielseitig – und weiblich! Anlässlich des Internationalen Tages der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft treten einige der vielen Wissenschafterinnen an der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie der Universität Wien vor den Vorhang. Die Botschaft an alle interessierten Frauen und Mädchen: Willkommen im Team Wissenschaft! Hier geht es zur Kampagne Women in Science Day.
Entstehung von Magnesit am Meeresboden
Dort, wo die tektonischen Platten auseinanderdriften, klafft gelöstes Material aus dem Erdinneren heraus. Diese sogenannten Spreizungszonen befinden sich meistens am Meeresboden, erklärt Jennifer Zwicker. Wenn das Erdmaterial mit hohen Temperaturen langsam genug aufsteigt und die chemische Zusammensetzung stimmt, entsteht Peridotit. Beim Kontakt mit Meerwasser wandelt sich Peridotit zu Serpentingestein um – dem "Baumaterial für Magnesit".
Serpentinisierung – so nennen Mineralog*innen diesen Prozess der Mineralumwandlung – passiert aber auch an Land bei niedrigen Temperaturen. "Magnesit bildet sich ebenso, wenn in kontinentalen Ozeanbodengesteinen Grundwasser zirkuliert. Das kann in stark salzhaltigen Seen oder in einigen alkalischen Quellen sein, aber eben auch in der steirischen Kraubath Magnesit-Lagerstätte", erklärt die Geologin.
Rätsel um steirischen Magnesit
Die Magnesit-Entstehung in den Ostalpen gibt der Wissenschaft nach wie vor Rätsel auf. Ein relativ neuer Erklärungsversuch, dem auch Zwicker auf der Spur ist, macht winzig kleine Archaeen – also Organismen, die neben Bakterien und Lebewesen mit Zellkern die dritte Domäne des Lebens bilden – dafür mitverantwortlich: "Aus Lösung wird ein Feststoff, wenn die thermodynamischen Bedingungen stimmen. Manchmal passen diese aber ganz und gar nicht und wir finden trotzdem Magnesit. An Land wird das Gestein durch Regenwasser serpentinisiert. Dabei entsteht Wasserstoff, den Archaeen für ihren Stoffwechsel nutzen können. Die Archaeen setzen dabei Energie frei und als Nebenprodukt können sich neue Feststoffe wie der Magnesit bilden."
Archaea vs. Bacteria
Archaeen bilden, neben Bakterien und Lebewesen mit Zellkern, eine der drei Domänen des Lebens – und sind die einzigen bisher bekannten Organismen, die Methan bilden können. Der Hauptunterschied zu den Bakterien besteht in ihrer Membran, die äußerst robust ist. Sie sind dadurch wahre Überlebenskünstler und fühlen sich auch unter widrigen Temperaturen wohl: in vulkanartigen Landschaften Islands, bei Temperaturen über 110 Grad oder – ganz gemäßigt – im Garten des UZA II der Universität Wien (mehr über "Nitrososphaera viennensis", eine Ammoniak oxidierende Archaea kultiviert und beschrieben von Uni Wien-Mikrobiologin Christa Schleper).
Schlüsselorganismen Archaeen
Zwicker und ihre Kolleg*innen haben Archaeen, eingebacken als molekulare Fossilien, in ähnlichen Milieus bereits in der Türkei gefunden. Für die Kraubath Magnesit-Lagerstätte suchen sie noch nach dem ganz großen Beweis, der die Schlüsselrolle der Archaeen bei der Bildung von Magnesit bezeugt. Dafür nimmt sich die Mineralogin einerseits Gesteinsproben aus dem Kraubath vor, andererseits züchtet sie Archaeen unter Kraubath-Bedingungen im Labor. Die Forscherin hat hierfür zunächst das Einmaleins der Mikrobiologie gelernt und viel Zeit im weißen Kittel verbringen müssen: "Als Geologin habe ich primär mit anorganischer Chemie und physikalischen Prozessen zu tun – die Verknüpfung mit der Mikrobiologie kann uns aber ganz neue Aufschlüsse geben."
Den Kraubath ins Labor holen
Im Labor sind die sonst so genügsamen Archaeen außerordentlich anspruchsvoll. "Der pH-Wert muss stimmen, die Temperatur gerade richtig sein, andernfalls sterben die Kulturen ab", berichtet Jennifer Zwicker, die sich mit ihrem Projekt erstmals an den aufstrebenden Fachbereich Geomikrobiologie heranwagt: "Das kann schonmal zu Frustration führen". An Aufgeben hat die engagierte Wissenschafterin aber noch nie gedacht – "viel zu spannend" sind die Prozesse, die in den nahegelegenen Ostalpen vor sich gehen.
Archaeen als Klimaretter?
Magnesitlagerstätten sind nämlich aktuell ein Hot Topic in der Geologie – nicht nur, weil Magnesit extrem hitzebeständig ist und als feuerfestes Material in der Produktion von Hochöfen & Co. benötigt wird. Magnesit (MgCO3) besteht zu großen Teilen aus Kohlenstoff und die Lagerstätten stehen als Speicherungsort von Kohlendioxid hoch im Kurs. Das Treibhausgas aus der Atmosphäre wird in fester Form also unschädlich gemacht. Und wenn dafür tatsächlich Archaeen verantwortlich sind, können die Mikroorganismen langfristig auch als Helfer im Klimaschutz eingesetzt werden. Bis zum industriellen Prozess müssen noch einige Fragezeichen geklärt werden, Jennifer Zwicker hat aber mit ihrer Grundlagenforschung den (Magnesit-)Stein ins Rollen gebracht. (hm)