Ringpolymere

Neue Materialien aus DNA

25. Oktober 2023 von Sophie Hanak
Ringförmige Polymere, wie man sie z.B. als DNA von Bakterien findet, könnten die Grundlage neuer weicher und dehnbarer Materialien für flexible Elektronik oder Soft-Robotik sein. Ein Team der Uni Wien erforscht die Physik dieser faszinierenden Strukturen.
DNA-Moleküle in Bakterien, wie Plasmide, sind das beste Beispiel für ringförmige Polymere in der Natur. Das Team um Jan Smrek von der Uni Wien hat kürzlich neue, spannende Ergebnisse zu den vielseitigen Strukturen im Journal ACSNano veröffentlicht. © iStock

Polymere sind überall. Sie finden sich in allen künstlichen Materialien um uns herum, etwa in Plastik, Papier oder Glas, und sind wichtige Bestandteile der Natur, beispielsweise von Wolle oder Holz. Und auch in unserem Körper spielen die Makromoleküle eine zentrale Rolle: Viele Proteine sind Polymere, sogar die DNA selbst ist ein Polymer. 

Ob nun synthetisch oder natürlich: Polymere können sehr unterschiedliche Formen annehmen. Sie kommen linear, verknotet, verzweigt oder ringförmig daher. Während allerdings lineare Polymere, wie beispielsweise Zellulose oder PVC, bereits sehr gut erforscht sind, ist die Physik der Ringpolymere noch wenig untersucht. 

Eine Lücke, die das Team um Jan Smrek von der Uni Wien nun schließen möchte, denn die ringförmigen Moleküle sind "wissenschaftlich besonders spannend". Insbesondere, weil sich ihre Eigenschaften von linearen Polymeren unterscheiden, z.B. unterliegen sie aufgrund ihrer Form auch verschiedenen Einschränkungen. Etwa können zwei unverbundene Polymerringe nicht miteinander verbunden werden. "Das ist einer der Gründe, warum sie sich nur sehr schwer in die sogenannte Polymerfeldtheorie (Anm.: siehe Infobox) integrieren lassen. Umgekehrt macht sie aber genau das so interessant", schwärmt Jan Smrek

Was sind Polymere?

  • Polymere sind große Moleküle, sogenannte Makromoleküle, die durch Polymerisation von kleinen Einheiten, den Monomeren, entstehen. Ein Polymer kann, abhängig von seiner Struktur, linear oder verzweigt sein. 
  • Natürliche Polymere sind Stoffe, die in der Natur vorkommen und von Pflanzen oder Tieren synthetisiert werden, wie beispielsweise menschliche Proteine und Nukleinsäuren, aber auch Zellulose, Kautschuk, Seide oder Wolle. 
  • Synthetische Polymere werden aus Erdöl gewonnen und von Wissenschafter*innen oder Ingenieur*innen hergestellt. Beispiele hierfür sind Nylon, Polyethylen, Polyester oder Teflon. Der wesentliche Unterschied zu natürlichen Polymeren ist, dass sie auch in Formen designt werden können, die in der Natur nicht vorkommen, z.B. als verzweigtes Polymer mit einer spezifischen Anzahl an Verzweigungen.
  • Die Polymerfeldtheorie ist eine mathematische Theorie, welche die Anordnung von Polymeren im Raum unter bestimmten Bedingungen beschreibt. Computersimulationen, denen die Polymerfeldtheorie zugrunde liegt, werden z.B. zur Berechnung der Strukturen und Eigenschaften von Polymerlösungen oder Thermoplastik eingesetzt.

Neue Erkenntnisse für Materialforschung und DNA-Nanotechnologie schaffen

Jan Smrek und seine Kollegen Christos Likos und Roman Staňo von der Computational and Soft Matter Physics Group haben sich zum Ziel gesetzt, die Struktur, räumliche Anordnung und Dynamik von ringförmigen Polymeren besser zu verstehen. "Erstens, weil das aus biologischer Sicht interessant ist, da Polymere einfach überall in der Natur vorkommen. Zweitens wollen wir sie aus theoretischer Perspektive verstehen", sagt Smrek. Drittens untersucht das Forschungsteam die DNA-Moleküle in Hinblick auf ihre Eigenschaften als Material. "Aufgrund der bereits erwähnten Einschränkungen haben Ringpolymere ganz besondere mechanische Eigenschaften und formen interessante Strukturen, über die wir mehr wissen wollen", sagt der Physiker. Das macht sie zu einem vielversprechenden Kandidaten für sehr weiche oder äußerst dehnbare Materialien, wie sie in der flexiblen Elektronik oder im Bereich Soft Robotics eingesetzt werden.

Neue Erkenntnisse über Ringpolymere sind aber auch für das noch junge Gebiet der DNA-Nanotechnologie relevant. Dabei wird die Sequenz der DNA verwendet, um größere Strukturen, wie etwa die Umkapselung eines Medikaments, zu bilden und dafür zu nutzen, den Wirkstoff an den vorbestimmten Zielort im Körper zu transportieren.

Die berühmteste ringförmige DNA in der Natur

Plasmide sind winzige ringförmige DNA-Moleküle, die in Bakterien und bestimmten anderen mikroskopisch kleinen Organismen vorkommen. Sie unterscheiden sich von der chromosomalen DNA und vermehren sich autonom. Plasmide sind Träger von Genen, u.a. jenen, die in Zusammenhang mit Antibiotikaresistenz stehen. Sie können sich von Zelle zu Zelle ausbreiten. Das nutzen Wissenschafter*innen, um in sogenannten "rekombinanten DNA-Verfahren" bestimmte Gene in ein Plasmid einzusetzen. Das eingefügte Gen kann auf diese Weise gemeinsam mit dem sich selbst duplizierenden Plasmid vermehrt werden.

Grundlagenforschung am Computer

Jan Smrek und sein Team betreiben Grundlagenforschung: Ihr vordergründiges Ziel ist es also nicht, ein neues Material zu entwickeln, sondern die Physik der Ringpolymere im Detail zu erforschen. "Ich vergleiche die Absicht der Grundlagenforschung gerne mit jener von Höhlenmenschen, die nicht deshalb ihre Höhle verließen, weil sie wussten, dass es einmal Antibiotika oder iPhones geben wird, sondern weil sie einfach neugierig waren, was die Welt da draußen zu bieten hat", betont Smrek. 

Um die komplexen Strukturen und Eigenschaften von Ringpolymeren zu beschreiben, verwenden die Forscher Computersimulationen, die sie u.a. selbst programmiert haben. "Wir stellen quasi die Physik der realen Welt am Computer nach. Dazu nutzen wir Supercomputer, in denen hunderte Prozessoren zusammenarbeiten. So können wir verschiedene Parameter simulieren, z.B. die Ladung, die Starrheit der Polymere, die Temperatur und so weiter, und anschließend analysieren", erklärt der Physiker.

Der nächste Schritt ist die Weitergabe der Ergebnisse an die Experimentalwissenschafter*innen, die dann praktische Experimente mit synthetischer DNA durchführen, um die theoretischen Vorhersagen der Simulationen zu verifizieren.

Ein Stapelspiel mit DNA-Bausteinen

In ihrem kürzlich erschienenen Artikel  beschreiben Jan Smrek und seine Co-Autoren, wie sich die Anordnung der DNA-Moleküle durch Veränderung von Dichte, Ladung oder Art des Lösungsmittels, in dem sie "schwimmen", beeinflussen lässt. "Unsere Simulationen haben gezeigt, dass die DNA-Ringe Stapel bilden können. Das widerspricht ein wenig der Intuition, denn Ringe mit ähnlicher Ladung sollten sich prinzipiell abstoßen und nicht schön übereinanderstapeln."

Je nach Ladung ordnen sich die Ringpolymere von selbst in verschiedenen Formen an. wie hoch die Stapel werden, hängt auch von der Dichte der Ringe ab, also wie viele davon sich in der Flüssigkeit befinden. Wird die Ladung zu hoch, fällt der Turm buchstäblich um. © Jan Smrek und Roman Staňo

"Mein rechter, rechter Platz ist leer …"

Bei schwachen Ladungen und geringer Dichte werden keine Stapel gebildet. Ist die Ladung im Gegenteil sehr hoch, wirkt das wie Klebstoff zwischen den Ringen, die mit steigender Dichte immer längere Stapel bilden. Während die Stapel dadurch unbeweglicher werden, können einzelne Ringe innerhalb des Stapels weiterhin den Platz wechseln, z.B. mit einem Ring aus dem Nachbarstapel tauschen. Wird die Dichte allerdings noch weiter erhöht, verschwinden die Stapel wieder. 

An einem ganz spezifischen Punkt in der Simulation erinnert die Anordnung der Ringe an die Struktur von Glas; diese Momentaufnahme bezeichnen die Forscher als "Cluster-Glas". "Möglicherweise können unsere Ergebnisse auch dazu beitragen, die Physik von Glas besser zu verstehen", sagt Smrek.

Physiker Jan Smrek erklärt mit Hilfe von Plastik- und Metallringen, wie sich Polymerringe verhalten. Bei hoher Ladung und hoher Dichte bilden die Ringe unbewegliche Stapel, innerhalb der einzelne Ringe jedoch ihre Plätze tauschen können. Diese Struktur nennen die Forscher "Cluster Glas". © Jan Smrek und Roman Staňo

Seifenblasen bringen uns der Antwort näher

Befinden sich besonders viele Ringe in der Flüssigkeit, kommt es zu einem Phänomen, das die Forscher "Threading" nennen. Die Ringe stapeln sich nicht nur, sie schlüpfen durch andere Ringe hindurch. "Um das in der Simulation erkennbar zu machen, haben wir uns ein mathematisches Verfahren ausgedacht, das von der Physik inspiriert ist", erklärt Smrek: "Wir haben quasi am Computer einen Seifenfilm auf jeden Ring gespannt, so dass sichtbar wird, wenn er von einem anderen durchdrungen wird." Um uns das zu veranschaulichen, schnappt er sich, zu unserer Überraschung, eine Schale voller Seifenlauge, taucht zwei Metallringe in das Seifenwasser und steckt den einen durch den anderen – "auf diese Weise kann man den Vorgang des Durchdringens darstellen", sagt Smrek.

Von Überraschungen über Schwierigkeiten hin zur nächsten Herausforderung

Eine der größten Herausforderungen für die Forscher war die unglaubliche Menge an Daten, die in den Simulationen generiert wurde. "Du bekommst jede Menge Ergebnisse und musst die relevantesten Resultate in diesen riesigen Datenmengen finden. Roman Staňo, Doktorand in unserer Forschungsgruppe und Erstautor des kürzlich erschienenen Artikels, hat hervorragende Arbeit dabei geleistet, einen Sinn in diesem Riesenchaos zu finden", resümiert der Physiker, dem es wichtig ist, auch von den Schwierigkeiten und der möglichen Frustration zu erzählen, die mit Grundlagenforschung oft einher geht. Er selbst könne damit mittlerweile gut umgehen und versuche auch, seine Studierenden zu motivieren: "Natürlich kann die Arbeit als Wissenschafter*in schwierig sein, aber es ist wichtig, etwas zu bewirken und über die spannende Seite dieser Arbeit zu berichten".  

In der Studie mit den Ringpolymeren wurde das Durchhaltevermögen der Forscher mit einer Überraschung belohnt: "Wir wussten, dass die Ringe diese Stapel bilden können. Unsere These war – je dichter das System, desto höher Stapel. Aber wir haben gesehen, dass sich die Stapel bei sehr niedriger Ladung plötzlich auflösen, wenn wir die Dichte erhöhen, das hat uns total verblüfft", berichtet Smrek und ergänzt: "Eine Überraschung ist immer aufregend, weil sie aufzeigt, dass wir etwas noch nicht umfassend verstanden haben, und genau das liefert uns neue Forschungsfragen."

Mit Hilfe von einfachen Plastikringen können selbst komplexe Strukturen nachgebildet werden. Die Kinetoplast-DNA (kDNA) beispielsweise ist ein zweidimensionales, ringartiges Netzwerk aus miteinander verbundenen DNA-Mini-Kreisen, die in einigen Parasiten vorkommt. Sie ist das nächste Forschungsmodell der Physiker. © Jan Smrek und Roman Staňo

Und die nächste Herausforderung steht schon bereit: Das Team widmet sich nun der Erforschung der räumlichen Organisation und dem Verhalten von Kinetoplast-DNA (kDNA) – "ein besonders faszinierendes Material, bestehend aus sehr ähnlichen, kurzen, geladenen DNA-Ringen, die miteinander verbunden werden können", blickt Smrek begeistert in die Zukunft. 

© Jan Smrek
© Jan Smrek
Jan Smrek hat seinen PhD-Abschluss 2015 am Center for Soft Matter Research an der New York University gemacht. In seiner PhD-Arbeit befasste er sich mit den fraktalen Eigenschaften von DNA. Im Anschluss absolvierte er seinen Postdoc am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in der Forschungsgruppe zu Theorie der Polymere in Mainz in Deutschland.

Jan Smrek erhielt 2018 ein FWF Lise-Meitner-Stipendium, um zur Forschungsgruppe Computergestützte Physik und Physik der Weichen Materie an die Universität Wien zu wechseln, in welcher er seit 2020 als Universitätsassistent tätig ist. Abgesehen von der Untersuchung und Erforschung der Theorie und Simulationen von Polymeren, testet er mit Vorliebe polymere Materialien beim Klettern, auf Skitouren und beim Wandern mit Freunden und Familie.