Archäologische Forschung

Spurensuche: Die Anfänge der Landwirtschaft

21. Juli 2022 von Hanna Möller, Magdalena Reichinger
Mithilfe von Isotopen-Analysen rekonstruiert Archäologin Maria Ivanova-Bieg das Leben der ersten Bäuerinnen und Bauern in Europa. Im Video begleiten wir sie auf ihrer Spurensuche.
Die Welt mit den Augen einer Archäologin betrachten: Im Video begleiten wir Maria Ivanova-Bieg in ihr Labor und treffen auf die Überreste unserer neolithischen Vorfahren.

Vor rund 8.000 Jahren – nach dem Ende der letzten Eiszeit – erreichte ein neuer Trend Europa: die Landwirtschaft. Lange wusste die Archäologie wenig über die Bäuerinnen und Bauern der ersten Stunde, doch durch den Einzug der DNA-Analyse in die Disziplin ist mittlerweile bekannt: Sie stammen aus den Gebieten des heutigen Syriens, der Osttürkei, aus Israel und Jordanien und kamen aus Anatolien über Griechenland, den Balkan und entlang der Mittelmeerküste nach Europa. Im Gepäck hatten sie geballtes Wissen, aber auch Gerste, Weizen und domestizierte Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine – allesamt Arten, die es im damaligen Europa noch gar nicht gab.

"Die ersten Bäuerinnen und Bauern in Europa waren aus genetischer Sicht Migrant*innen"

Maria Ivanova-Bieg dockt mit ihrem aktuellen ERC-Projekt an die jüngsten Erkenntnisse über unsere neolithischen Vorfahren an. Mit internationalen Kooperationspartner*innen, die u.a. am renommierten Senckenberg Institut in Frankfurt sitzen, untersucht sie das Zusammenspiel von Umwelt, Klima und der frühen Ausbreitung von Mensch, Tier und Pflanze.

Die Uni Wien-Archäologin liefert damit nicht nur neues Wissen über die Menschheitsgeschichte, sondern bearbeitet auch zukunftsweisende Fragestellungen: "Die ankommenden Bäuerinnen und Bauern waren in Europa mit neuen Bedingungen konfrontiert; Klima und Saisonalität waren ganz anders als in ihren Herkunftsregionen. Unsere Modelle zur Erforschung der Vergangenheit geben Aufschluss darüber, wie sich Landwirtschaft an Klimaveränderungen anpassen kann bzw. muss", so Ivanova-Bieg. Mehr noch: Die Menschen im Neolithikum haben sich aktiv mit der Frage beschäftigt, welchen Platz sie in der Umwelt einnehmen und wie sie diese verändern. "Angesichts der Klimakrise ist es notwendig, dass auch wir diese Frage neu denken und dabei können wir uns etwas von den frühen Landwirt*innen abschauen."

Maria Ivanova-Bieg auf einer Ausgrabung in Avren, Bulgarien.
Die ERC-Preisträgerin, hier auf einer Ausgrabung in Avren, Bulgarien, geht in ihrer Forschung zu den Anfängen der Landwirtschaft zurück. © Petra Leshtakov

Mit der Landwirtschaft kam der Populationsboom

Warum die Pionier*innen der Landwirtschaft damals nach Nord- und Mitteleuropa migriert sind, ist unklar. Vielleicht waren Werte, vielleicht Neugier der Antrieb. Ressourcenknappheit dürfte jedoch nicht der Grund gewesen sein, erklärt die ERC-Grantee, das belegen zahlreiche Funde. Feststeht, dass die Einführung der Landwirtschaft im neolithischen Europa zu einem regelrechten Populationsboom geführt hat. Im Vergleich zur lokalen Bevölkerung, die von der Jagd und vom Sammeln lebte, konnten die Bäuerinnen und Bauern mit Kulturpflanzen und Nutztieren die Versorgung vieler Menschen sicherstellen.

Eine Frage, die Bieg in diesem Zusammenhang gerade untersucht, ist die Nutzung der Milch. "Tierische Milch ist ja eigentlich ein saisonales Produkt, das nur zur jährlichen Geburtenzeit verfügbar ist. Nur durch Manipulation dieses Kreislaufes können Tiere das ganze Jahr über gemolken werden. Wir möchten herausfinden, ob diese Form der Manipulation bei den ersten Bäuerinnen und Bauern bereits eine Rolle gespielt hat."

Knochen und Keramik als Zeitzeugen

Antworten findet Maria Ivanova-Bieg in Fundstücken aus der Vergangenheit: Tier- und Menschenknochen, Samen und Pflanzenreste oder Artefakte aus Keramik. Während Ausgrabungen in Mitteleuropa der Suche im Heuhaufen ähneln, weisen Gebiete in Südosteuropa eine große Fülle an neolithischen Überresten auf.

Mit der Isotopenanalyse kam vor rund 20 Jahren erstmals die biologische Dimension in den Fokus der archäologischen Forschung, ein wahrer "game changer", sagt Ivanova-Bieg und erklärt, wie die Methode funktioniert: Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff kommen in der natürlichen Umwelt als Isotope vor. Jedes organische Material verfügt über ein eigenes "isotopisches Signal". Bei der Nahrungszufuhr schreibt sich dieses Signal in die Knochen und Zähne von Menschen und Tieren ein. "Dieses Signal, also das Isotopenverhältnis, können wir in historischen Knochenfunden bestimmen und daraus die Lebensumstände unser Vorfahren ziemlich genau rekonstruieren."

Food Cultures im Neolithikum

So wissen wir heute, wie vor 10.000 Jahren Tiere gehalten oder Pflanzen gezüchtet wurden, welche Krankheiten grassierten und was die ersten Bäuerinnen und Bauern mittags in der Keramikschale kredenzten. Das war übrigens nicht unbedingt besser oder gesünder als bei den Jäger*innen und Sammler*innen, so Bieg, die sich in Vorgängerprojekten mit der Food Culture im Neolithikum beschäftigt hat.

Stärkehaltige Produkte dienten den frühen Landwirt*innen als Lebensgrundlage und haben eine nachweislich schlechtere Zahngesundheit verursacht. Ist also etwas dran an dem Trend der proteinreichen "Paleo-Diät"? Die Expertin zeigt sich skeptisch – Jäger*innen und Sammler*innen hatten zwar bessere Zähne, ihr Speiseplan wird medial aber oft verzerrt. Es wurden nicht vorwiegend Proteine verspeist, Pflanzen spielten ebenso eine große Rolle und dann wurden die konsumiert, die saisonal verfügbar waren. Es kann ja auch nicht jeder Trend so durschlagen wie jener der Landwirtschaft. (hm)

© Magdalena Reichinger
© Magdalena Reichinger
Maria Ivonova-Bieg ist Archäologin und ERC-Grantee am Vienna Institute for Archaeological Science (VIAS) der Universität Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen das Neolithikum und die Bronzezeit Anatoliens, der Ägäis und Osteuropas, mit besonderem Augenmerk auf antike Technologie, Sphären des Austauschs und Technologietransfers, Paläoernährung und den Übergang zur Landwirtschaft. Warum die Faszination für ihre Disziplin nach wie vor ungebrochen ist: "Ich liebe die zeitliche Tiefe – in der Archäologie gibt es (fast) keine Grenze zurück in die Vergangenheit."