KI und Bildung

Lernen mit KI: Kann das gut gehen?

19. Juni 2024 von Theresa Dirtl
KI macht auch vor dem Klassenzimmer nicht Halt. Grund zur Panik? Nein, sagen die Bildungsexpert*innen Barbara Schober und Fares Kayali von der Uni Wien. Sie plädieren dafür, die Chancen von KI zu nutzen – zum Beispiel, um den Schüler*innen zu mehr Lernfreude, Motivation und Selbstregulation zu verhelfen.
"Gerade die neue Generation an Schüler*innen hat digitale Kompetenzen drauf, wo so manche Lehrkraft mit den Ohren schlackert", so Barbara Schober. Rudolphina sprach mit der Bildungspsychologin und dem Digitalisierungsexperten Fares Kayali über Chancen und Herausforderungen von Digitalisierung und KI im Bildungssystem. © Pexels

Computer, Internet, Google und jetzt auch noch Künstliche Intelligenz. Die digitale Revolution hat seit Ende des 20. Jahrhunderts in rasender Geschwindigkeit alle Lebensbereiche umgekrempelt – dem Bildungssystem sagt man nach, der Digitalisierung hinterherzuhinken. Wie soll es da auch noch mit KI Schritt halten? "Wichtig dabei ist, unaufgeregt an die Sache heranzugehen", sagt Fares Kayali, Professor für Digitalisierung im Bildungsbereich: "Wir fangen bei der Diskussion um KI nicht bei Null an, sondern können auf unsere Erfahrungen mit Google, Wikipedia und Co. zurückgreifen. Heute würde niemand auf die Idee kommen zu sagen, es wäre besser, das Internet gäbe es nicht." Jetzt gehe es darum, KI breit und konstruktiv in den Bildungsbereich einfließen zu lassen.

KI ist im Alltag angekommen und daher ist individualisiertes Lernen in den Schulen wirklich nötig. Das bedeutet auch eine Abkehr vom Frontalunterricht.
Barbara Schober

Lebenslanges Lernen ist aktuell wie nie zuvor

Den Begriff "ausgelernt" gibt es so nicht mehr – weder die Absolvent*innen einer Bildungsinstitution noch ihre Lehrer*innen können sich ein Leben lang auf ihrem Wissen ausruhen. "Die Idee des lebenslangen Lernens ist angesichts der ganzen Facetten dessen, was KI jetzt schon kann und vermutlich können wird, zentraler denn je", sagt Barbara Schober, Professorin für Psychologische Bildungsforschung. Sowohl im Schulsystem als auch an den Universitäten sollten in diesem Sinne insbesondere die Bereiche "Motivation für Lernen" (dazu gehören auch ein positives Selbstkonzept und hohe Selbstwirksamkeit) und "Selbstregulation" gefördert werden. "Gerade angesichts von KI müssen wir Lehrkräfte im Bildungssystem empowern, sich selbst immer weiter zu entwickeln, Unterricht immer wieder neu zu denken und Schüler*innen selbstreguliertes Lernen zu unterrichten. Auch kritisches Denken zu lernen wird immer wichtiger."

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  • Lebenslanges Lernen braucht Bildungsmotivation und Selbstregulation, d.h. man muss selbständig lernen können und auch lernen wollen. Beides muss schon früh grundgelegt und vermittelt werden. Beispiel für Motivationsförderung: Eine Lehrkraft nutzt den Umgang mit Fehlern, um durch förderliches Feedback Schüler*innen zu vermitteln, dass Misserfolge wichtige Lerngelegenheiten und nicht Bedrohungen des Selbstwerts sind.
  • Selbstwirksamkeit bezeichnet das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, bestimmte Aufgaben oder Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Beispiel: Eine Schülerin, die an ihre Fähigkeit glaubt, auch schwierige Mathematikprobleme zu lösen, hat eine hohe Selbstwirksamkeit.
  • Selbstkonzept ist das Bild einer Person über sich selbst, einschließlich ihrer Stärken, Schwächen und Eigenschaften. Beispiel: Ein Schüler, der sich als guter Sportler und weniger guter Musiker sieht, hat ein hohes sportliches Selbstkonzept und ein eher niedriges musikalisches.

Weg vom Leistungsdenken hin zur Motivation

"Ein Schritt in die richtige Richtung wäre eine Orientierung weg von Einzelfächern hin zu Lernbereichen sowie die Abkehr vom reinen Leistungsdenken", sagt Kayali: "Das heißt nicht zwangsläufig, dass man die Noten abschaffen muss. Aber es wäre wichtig, viel mehr Freiräume für projektbasierten Unterricht zu schaffen. Die Bildungsforschung zeigt, wie gewinnbringend das sein kann. In solchen Projekten können z.B. Inhalte wie Klimakrise, Nachhaltigkeit und eben auch Künstliche Intelligenz erarbeitet werden. Diese Themen bewegen ja die Kinder und Jugendlichen und sie können damit sehr gut abgeholt werden, auch um eigene Fragestellungen zu entwickeln."

Innovationen nachhaltig ins Schulsystem zu bringen, in dem "alles so durchreguliert ist", sei alles andere als einfach, weiß Barbara Schober: "Aber die KI ist im Alltag angekommen und individualisiertes Lernen in den Schulen kann dadurch massiv unterstützt werden. Das bedeutet auch eine Abkehr vom nach wie vor vorherrschenden Frontalunterricht, um individuelle Lernpfade und Tutoriensysteme nutzen zu können. Auch die Art, wie wir Prüfungen machen und Leistungen messen, muss sich ändern. Schüler*innen und Studierenden sind extrem fit darin, sich Informationen schnell mit dem Zweithandy herzuholen. Das können wir nicht nachkontrollieren, das macht auch gar keinen Sinn. Wir müssen neue Lehr- und Prüfungsformate entwickeln und den Fokus auf kritisches Denken und die Motivation zu lernen legen – in der Schule genauso wie an der Uni."

Der Notwendigkeit, Leistungsbeurteilung neu zu denken, stimmt Fares Kayali zu: "Was heißt Leistung eigentlich, wie wollen wir sie beurteilen und wo brauchen wir sie? Ich gebe gerne zu: Die Aufgabe, herkömmliche Arten von Leistungsbeurteilungen auf den Kopf zu stellen, bereitet mir eine gewisse Freude."

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"Ein riesiger Bildungsauftrag"

Das Bildungssystem selbst sehen die Expert*innen der Uni Wien also durch KI nicht besonders in Gefahr, allerdings sei es durchaus eine große Herausforderung, sie konstruktiv einzubetten. Was Fares Kayali, der an der Uni Wien das Computational Empowerment Lab gegründet hat, allerdings bedenklich stimmt, ist die totale Intransparenz, die KI generell mit sich bringt: "Wie funktioniert KI eigentlich, wie wird sie angewendet und auf Basis welcher Daten, welche Vorurteile werden damit repliziert? Das wird sicher immer problematischer werden, je mehr Entscheidungen wir durch KI unterstützen lassen." Und hier kommt dann doch wieder die Bildung ins Spiel: "Damit geht natürlich auch der riesige Auftrag an die Bildung einher, die Menschen – Lehrende und Lernende – dafür zu sensibilisieren. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass diese Dinge nicht nur in der Informatik Oberstufe verankert, sondern fächerübergreifend behandelt werden."

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Einsatz von KI reflektieren

Problematisch werde es laut Barbara Schober, die auch das Projekt "Zukunft der Bildung im Kontext von Digitalisierung und Chancengerechtigkeit" leitete, wenn Informationen oder KI-generierte Inhalte unreflektiert übernommen werden: "Das ist die große Herausforderung. Wenn wir KI als positiven Entwicklungsmoment nutzen wollen, müssen wir parallel extrem gut lernen, was KI kann und was nicht."

An der Fakultät für Psychologie der Uni Wien wird genau dies mit den Studierenden im Rahmen verschiedener Lehrangebote geübt. In diesem Rahmen erhalten sie zum Beispiel die Aufgabe, eine Seminararbeit zu verfassen und dabei möglichst intensiv auf KI zurückzugreifen, also z.B. für Literaturrecherche, Hypothesenbildung oder Studiendesign. Jeder Schritt wird dokumentiert und gemeinsam reflektiert. "Dabei stellt sich ganz schnell heraus, wo die KI Fehler macht und oft auch komplett falsch liegt", erzählt die Bildungspsychologin.

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Unsicherheiten im Schulsystem

Grundsätzlich sorgen große Veränderungsprozesse wie die Digitalisierung und der schnelle Fortschritt von KI für große Unsicherheit und auch viel Ablehnung. "Das ist eine Hürde, die man überwinden muss", ist Kayali überzeugt: "Auf Seiten der Lehrer*innen kommt gleichzeitig auch eine Überforderung bzw. Zusatzbelastung dazu. Hier muss man weiterbilden, Material und Infos zur Verfügung stellen, Entlastung in anderen Bereichen schaffen."

Der Digitalisierungsexperte wünscht sich keine Scheu vor größeren Veränderungen zu haben, wie z.B. eine Neuausrichtung im Fächersystem oder der Leistungsbeurteilung. "Für die Uni Wien haben wir erfolgreich solche Guidelines erstellt und die beinhalten ja sehr viel Offenheit. Wir brauchen nicht nur die Richtlinien und den Diskurs zum Thema, sondern auch die Bereitschaft, diesen Diskurs laufend zu führen, weil übermorgen ist es schon wieder anders."

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Was müssen wir als Gesellschaft wissen?

"Insgesamt bin ich der Meinung, dass wir im Angesicht von Digitalisierung und KI auch unser Bildungssystem insgesamt überdenken müssen: Welche Inhalte gehören in welche Bildungsphase", ist Barbara Schober überzeugt: "Nur dann sind wir in der Lage kompetent, kritisch und ethisch korrekt mitzuhalten. Wenn das Bildungssystem so wie bei ChatGPT sehr spät reagiert, geht das nicht zusammen. Es ist dringend nötig einen Plan zu starten, der die neuen Kompetenzen, die wir brauchen, aufgreift und neue Arten von Lernen implementiert."

© privat
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Barbara Schober Barbara Schober ist Professorin für "Psychologische Bildungs- und Transferforschung" und eine der Sprecher*innen des fakultären Forschungsschwerpunktes "Psychologie des Lebenslangen Lernens". Seit 2016 ist sie Dekanin der Fakultät für Psychologie.

Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte und Forschungsprojekte umfassen Motivationsentwicklung und Förderung, Selbstregulation, Geschlechtsspezifische Bildungsverläufe, Lebenslanges Lernen sowie Entwicklung, Evaluation und Implementierung evidenzbasierter Interventionen.

© Barbara Mair
© Barbara Mair
Fares Kayali Fares Kayali ist Professor für Digitalisierung im Bildungsbereich am Institut für Lehrer*innenbildung der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. Digitalisierung und Schule, Human-Computer Interaction und Design sowie Game-based Learning.

Nach einem Studium der Informatik an der Technischen Universität Wien arbeitete er als Spieleentwickler und gründete 2014 das Positive Impact Game Lab an der TU Wien. Er habilitierte an der Universität für Angewandte Kunst Wien in der Fachdidaktik für die künstlerischen Fächer.