Umfragen und Forschung

Einflussnahme, Intransparenz und Manipulation? Nicht bei seriösen wissenschaftlichen Umfragen

19. Dezember 2022 Gastbeitrag von Katharina Pfaff, Julia Barta, Barbara Prainsack, Sylvia Kritzinger und Nikolaus Forgó
Die Umfrageforschung erlebt eine Vertrauenskrise. Seit der ÖVP-Umfragen-Affäre werden Meinungsumfragen immer wieder im Zusammenhang mit parteipolitischer Beeinflussung, Intransparenz und gefälschten Umfrageergebnissen erwähnt. In einem Gastbeitrag zur Semesterfrage beschreiben Mitglieder des Projekts "Digitize!", woran man qualitativ hochwertige Umfrageforschung erkennt.
Im Projekt Digitize!, das an der Uni Wien geleitet wird, arbeiten Sozialwissenschafter*innen österreichischer Unis mit Data Scientists, Rechtswissenschafter*innen und Forschungsethiker*innen zusammen, um den Herausforderungen der Digitalisierung zu begegnen. Im Gastbeitrag erklären MItglieder des Projektteams u.a., welche negativen Auswirkungen unseriöse Studien auf die akademische Umfrageforschung haben können. © pixabay/pexels

Die Befragungen der Meinungsforscherin Sabine Beinschab stehen seit Herbst 2021 im medialen Rampenlicht. Beinschab bestätigte, dass die Ergebnisse ihrer Umfragen mehrmals aus parteipolitischen Interessen beschönigt wurden (siehe Bericht in DerStandard vom 3.8.). So sollen die Beliebtheitswerte von Oppositionsparteien auf Aufforderung nach unten korrigiert worden sein.

Die Auswirkungen dieser Affäre gehen weit über den Anlassfall hinaus. Eine Erhebung des Österreichischen Demokratie Monitors von SORA (siehe hier) zeigte Ende 2021, dass auch das Vertrauen in das politische System und weitere demokratische Institutionen infolge der Affäre stark gesunken ist. Der Schaden unseriöser Studien erstreckt sich somit auf die gesamte politische und gesellschaftliche Landschaft in Österreich.

Diese Ereignisse verdeutlichen, wie wichtig das Einhalten wissenschaftlicher Standards, ethischer Leitlinien und gesetzlicher Regelungen in der Meinungsforschung ist. Diese gilt es nicht nur bei der Veröffentlichung und Beschreibung von Studien zu berücksichtigen, sondern bereits im Design und bei der Durchführung von Umfragen. So ist es beispielsweise gute wissenschaftliche Praxis, nur jene Fragen in eine Befragung aufzunehmen, die wissenschaftlich oder methodisch begründet sind. Familienaufstellungen, Vergleiche von Parteien mit Automarken oder von Politiker*innen mit Tieren sind daher in seriösen Umfragen selten anzutreffen.

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Forschungsethik bietet Hilfestellung statt roter Karte

Die Einhaltung wissenschaftlicher Qualitätsstandards ist auch ein Erfordernis der Forschungsethik: "There is no good ethics without good science." Und dasselbe gilt umgekehrt: Forschungsethik kann dabei helfen, die Umfrageforschung und ihre Rolle in der Gesellschaft zu verbessern. Das beginnt mit der Überlegung, wen eine Stichprobe repräsentiert: alle in Österreich lebenden Erwachsenen – oder nur jene, die Zugang zu digitalen Technologien haben oder die in einem Melderegister enthalten sind? Es ist wichtig, formale und praktische Barrieren, die nicht beseitigt werden können, klar und offen zu kommunizieren – und zu überlegen, wie man auch den Perspektiven marginalisierter Bevölkerungsgruppen Gehör verschaffen kann.

Ebenso gilt es zu abzuwägen, ob die Forschung bestimmten Menschen schaden könnte und wie diese Risiken minimiert werden können. Wenn man etwa in einem autoritären Regime eine Umfrage zu politischem Protestverhalten durchführt, könnten die Ergebnisse zu zusätzlichen Repressalien gegen die Bevölkerung führen. In weniger drastischen Fällen kann man durch besonders sorgfältige Kommunikation der Ergebnisse mögliche Risiken minimieren – wenn es etwa darum geht, bei politisch sensiblen Themen die Vereinnahmung der Ergebnisse für parteipolitische Interessen zu vermeiden (wie etwa im Bereich der Migrationspolitik). Das Ziel der Forschungsethik ist es stets, den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Wert der Forschung zu verbessern und nicht, wie bei einem Fußballspiel, gelbe oder rote Karten auszuteilen.

In rechtlicher Hinsicht ist auf die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben zu achten, wie sie sich vor allem aus der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ergeben. Es ist sicherzustellen, dass die Verarbeitung in nachvollziehbarer Weise erfolgt (Art. 5 DSGVO). Soll die Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung, wie zumeist, eine informierte Einwilligung ("informed consent") sein, dann muss diese freiwillig, bestimmt, informiert und unmissverständlich erfolgen (Art. 4 Nr. 11 DSGVO), woraus sich Anforderungen an die Gestaltung des Einwilligungsformulars ergeben. Hinzu treten weitere Verpflichtungen, etwa hinsichtlich Zugang zu Daten, Anonymisierung/Pseudonymisierung, Einbeziehung des Datenschutzbeauftragten und Datensicherheit.

Das Digitize!-Projekt findet online statt

Durch die zunehmende Digitalisierung nahezu aller Lebensbereiche (siehe eurostat-Statistik) greift die Umfrageforschung immer mehr auf Onlinebefragungen zurück. Auch das Forschungsprojekt "Digitize! - Computational Social Sciences in der digitalen und sozialen Transformation", eine Kooperation der Universitäten Wien, Linz, Salzburg, Graz und Innsbruck, führt seit dem Frühjahr 2022 österreichweite Onlineumfragen durch. Zu diesen wird mittels einer geschichteten Zufallsauswahl aus dem Zentralen Melderegister ein repräsentativer Teil der österreichischen Wohnbevölkerung über 16 Jahren eingeladen, Fragen zu aktuellen Themen der österreichischen Gesellschaft, Medienlandschaft und Politik zu beantworten.

Sozialwissenschaften: Auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagieren

In den Umfragen des universitätsübergreifenden Projekts "Digitize! - Computational Social Sciences in der digitalen und sozialen Transformation", das an der Universität Wien geleitet wird, wird das methodische Vorgehen detailliert dokumentiert und zusammen mit den Daten nach einer Qualitätsprüfung durch die Forscher*innen am österreichischen Datenarchiv AUSSDA sicher verwahrt. Alle Informationen zu den Befragungen stehen dann online zur Verfügung, von der Art der Finanzierung über die Auswahl der eingeladenen Personen und das Einladungsschreiben bis hin zu den Fragebögen. Die Umfragedaten selbst entsprechen den Datenschutzbestimmungen und sind in pseudonymisierter Form für wissenschaftliche Zwecke zugänglich. Durch den transparenten Datenzugang können Ergebnisse jederzeit repliziert werden. In einem regelmäßigen Austausch von Expert*innen unterschiedlicher Disziplinen arbeitet "Digitize!" an Optimierungen im Fragebogendesigns und an der Teilnahme an Onlineumfragen, um auf Herausforderungen, die mit der Digitalisierung einhergehen, zu reagieren.

Die Qualität einer Umfrage und ihrer Ergebnisse stehen und fallen mit der Einhaltung dieser Kriterien. Einzelne schwarze Schafe können durch die Missachtung dieser Gütestandards Vertrauen tiefgreifend erschüttern. Die akademische Umfrageforschung in Österreich hingegen arbeitet nach höchsten Qualitätsstandards und beweist dies mit transparentem Zugang zu Daten und Forschungsprozessen.

© Katharina Pfaff
© Katharina Pfaff
Katharina Pfaff ist Post-Doc am Institut für Staatswissenschaft an der Universität Wien. Als Mitarbeiterin des Digitize!-Projekts beschäftigt sie sich mit dem Design und der Durchführung der Onlinebefragungen.
© der_knopfdruecker
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Julia Barta ist Projektkoordinatorin des Digitize!-Projekts am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien.
© Barbara Prainsack
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Barbara Prainsack ist Professorin für Vergleichende Politikfeldanalyse am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Leiterin der interdisziplinären Forschungsplattform Governance of Digital Practices.
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Sylvia Kritzinger ist Professorin für Methoden der Sozialwissenschaft am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien und Projektleiterin des Digitize!-Projekts.
© Daniel Schenz
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Nikolaus Forgó ist Professor für Institutsvorstand des Instituts für Innovation und Digitalisierung im Recht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät und stellvertretender Leiter der Plattform Governance of Digital Practices an der Universität Wien. Seit 2018 ist er Expertenmitglied des österreichischen Datenschutzrats und seit 2021 Präsident der Wiener Rechtsgeschichtlichen Gesellschaft.

Nikolaus Forgó studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Sprachwissenschaften in Wien und Paris. 1997 promovierte er mit einer rechtstheoretischen Dissertation und ist seit 1998 Leiter des Universitätslehrgangs für Informationsrecht und Rechtsinformation an der Universität Wien. Von 2000 bis 2017 war er an der Juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover tätig. Seit Oktober 2017 ist er Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht an der Universität Wien.